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Darwin - Das Abenteuer Des Lebens

Titel: Darwin - Das Abenteuer Des Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juergen Neffe
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lebensfeindliche Bereiche ausgewichen sind. Mindestens ebenso bemerkenswert, dass sie in ihrer unwirtlichen Welt mehr als achttausend Jahre überdauert haben, und zwar in relativ kleiner Population: Anfang des 19. Jahrhundert schätzt man ihre Gesamtzahl auf etwa zehntausend, verteilt auf unterschiedliche, einander oft bitter bekämpfende
Stämme. Offenbar bilden sie stabile Einheiten, bis in Darwins Tage hält sich ihre Zahl relativ konstant. Es besteht kein Grund zu der Annahme, dass die Zahl der Feuerländer abnimmt. Deshalb müssen sie ein hinreichendes Glück empfinden, von welcher Art auch immer, sodass das Leben ihnen lohnend erscheint .
    Darwin erkennt weder die komplexen Formen des spirituellen Lebens der Feuerländer als Zeichen von Entwicklung noch ihre Sprache, die mit jeder anderen mithalten kann. Stattdessen beschreibt er Kannibalismus als Beleg für deren Primitivität. Er hört, dass sie, wenn der Hunger im Winter übermächtig wird, ihre alten Frauen töten und aufessen, bevor sie ihre Hunde töten. Mit Horror denkt er an die Angst der alten Frauen, wenn der Hunger zunimmt. … Man sagt uns, sie flüchteten häufig in die Berge, würden aber von den Männern verfolgt und zurück zum Schlachthaus an ihr eigenes Feuer gebracht!
    Für die Rückständigkeit auf einem niedereren Stand des Fortschritts als irgendwo sonst auf der Welt hat Darwin indes einen Grund ausgemacht. Was den Feuerländern fehle, sei ein Häuptling mit genügend Macht … , um sich erworbene Vorteile wie domestizierte Tiere zu sichern. … Gegenwärtig wird noch ein Stück Tuch, das man einem schenkt, in Fetzen zerrissen und an alle verteilt, und keiner kann reicher werden als der andere. Eine egalitäre Gesellschaft, Traum der Besitzlosen und Albtraum der Besitzenden, kann in seinen Augen nur elend sein und primitiv - auch wenn sie bei gleichbleibender Bevölkerungszahl mit ihrer Umwelt in Harmonie lebt.
    Die Yámana, zu denen auch Jemmy Button gehört, sind für Darwin die Elendsten unter den Elenden. Sie leben als Kanu fahrende Nomaden an der südlichen Küste der Insel Tierra del Fuego entlang des Beagle-Kanals und auf allen Inseln südlich davon bis zum Kap Hoorn. Nachts schlafen fünf oder sechs Menschen, nackt und kaum vor Wind und Regen dieses stürmischen Klimas geschützt, auf der nassen Erde, eingerollt wie Tiere. Bei jedem Niedrigwasser, winters wie sommers, Nacht wie Tag, müssen sie aufstehen, um Schalentiere von den Felsen zu pflücken, und die Frauen tauchen entweder, um Seeigel zu sammeln, oder sitzen geduldig im Kanu und fischen mit einer Haarschnur mit Köder, aber ohne Haken daran, kleine Fische heraus. … Oft leiden sie Hunger. … Ihr Land ist eine zerklüftete Masse wilder Felsen, hoher Berge und nutzloser Wälder. … Das Gefühl, ein Zuhause zu haben, können sie nicht kennen.

    Das klingt, als müsse man die Elenden sofort aus ihrem jämmerlichen Zustand befreien. Sechzehn Jahre nach Darwins Besuch wird ihre Zahl auf gerade einmal zweieinhalb- bis dreitausend geschätzt - nicht mehr, als in Berlin oder Buenos Aires heute in einem Wohnblock leben. Als 1871 die erste permanente Missionsstation im argentinischen Ushuaia entsteht, ist ihr Todesurteil gesprochen. Dabei haben sie noch Glück, in Thomas Bridges einem fortschrittlichen, vor allem um das Wohl der Einheimischen besorgten Missionar zu begegnen, der ihre Sprache spricht. Die hat er auf der Falklandinsel Keppel Island von Stammesangehörigen gelernt, die zur Umerziehung dorthin verschleppt worden waren. Unter ihnen auch ein gewisser Jemmy Button.
    Mehr als jeder andere hat Bridges den Yámana ein Denkmal gesetzt, indem er gerade noch rechtzeitig ein Wörterbuch ihrer reichhaltigen Sprache verfasste. Das Vokabular, das allein er zusammenträgt, umfasst 32000 Wörter. Wíaina heißt »der blaue Himmel«, túkúl-alana »dummes Zeug reden« und ságun-ata »Schmerzen haben«. Doch selbst Bridges kann nicht verhindern, dass ihm seine Schäfchen unter der segnenden Hand massenhaft wegsterben. Auch er ist nur ein Missionar, und Missionare, das hat sich bei den Urvölkern rund um den Erdball bereits herumgesprochen, bringen Gott und den Tod. Krankheiten wie die Masern, die Bridges’ eigene Kinder immungestärkt überleben, raffen Hunderte von Yámana dahin. 1884 gibt es noch tausend von ihnen, 1893 ungefähr dreihundert, und bis 1902 ist das Volk auf hundertzwanzig Menschen geschrumpft.
    In Ushuaia erinnern Nachfahren der Feuerländer in einem kleinen Museum

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