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Darwin - Das Abenteuer Des Lebens

Titel: Darwin - Das Abenteuer Des Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juergen Neffe
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»Geschlechtsdimorphismus«, einer der größten im gesamten höheren Tierreich, deutet auf einen enormen Selektionsdruck Richtung Größe hin.
    Den Seebären hat all ihre Kraft nichts genutzt. Robbenjäger standen kurz davor, sie auszurotten. 1925 lebten gerade noch fünfhundert auf Südgeorgien. Heute sind es dank Schutzmaßnahmen wieder drei Millionen. Ihren Fortpflanzungserfolg - auf das Konto von vier Prozent aller Männchen gehen bis zu achtzig Prozent der Nachkommen - bezahlen die Alphas mit einem äußerst anstrengenden, in der Regel nicht besonders langen Leben. Über Monate müssen sie, Gefangene ihrer Erbanlagen, Tag und Nacht ihr Revier bewachen. Weibchen lauern auf die Chance, sich aus dem Staub zu machen. Frustrierte Junggesellen greifen unentwegt an und versuchen, den Patriarchen zu verdrängen. Täglich Kämpfe, oft blutig, manchmal tödlich. Acht Monate ohne Fressen. Wer ins Wasser geht, hat seinen Harem verloren. Ein Drittel ihres Körpergewichts büßen die dominanten Männchen ein.
    Man weiß nicht, ob man mehr die Zukurzgekommenen in ihren
Junggesellen-Kolonien bedauern soll oder die biologisch Erfolgreichen, von ihren Genen Getriebenen. Wird man als Alpha geboren oder erst dazu gemacht? Gehört jeder dazu, der den Patriarchen attackiert? Wie viele frustrierte Alphas kommen auf einen Sieger? Wie ist das Verhältnis bei Primaten?
    Durch die soziobiologische Brille erscheinen damit auf einen Schlag einige Menschheitsprobleme in anderem Licht: Könnte es nicht sein, dass wir zu viele gescheiterte Alphas haben, Weibchen und vor allem Männchen, die ihre Rolle nie ausüben dürfen und sich überdies vom Mittelmaß gängeln lassen müssen? In jedem Betrieb sind die Folgen zu beobachten, wenn besonders auf mittleren Hierarchieebenen alle um den Platz an der Sonne ringen, den nur jeder zehnte oder Hundertste erreichen kann. Nicht umsonst setzen moderne Industrieunternehmen auf selbständige Teams in Rudelgröße als optimale Arbeitseinheiten.
     
    Wir Menschen haben es auf bemerkenswerte Weise geschafft, im Survival of the fittest besonders ein Prinzip zum Garanten unseres »Erfolgs« zu machen: Kooperation und Arbeitsteilung. Manche betrachten es sogar als wichtigsten Motor der Evolution. Wie unsere äffischen Verwandten leben wir in Gemeinschaften. Angefangen bei Clans, Dörfern, kleinen Völkern, Städten und Staaten bis zu heutigen Staatengemeinschaften hat zwischenmenschliche Kooperation durch Kommunikation eine atemberaubende Komplexität erreicht. Wir sind längst viel mehr Gemeinschaftswesen in unzähligen sich überlappenden Netzwerken und gegenseitigen Abhängigkeiten, als manch einer glauben mag. Wer seine Welt einmal aus dieser Perspektive betrachtet, wird wenig entdecken, was Menschen frei von allen anderen täten. Gemeinschaften erzeugen vermutlich mehr Zwänge als Gene.
    Schiffe bieten dafür wunderbaren Anschauungsunterricht. Jeder an Bord hat seine Pflichten. Alle sind aufeinander angewiesen. Nur zusammen können sie ihre Aufgabe erledigen. Keiner könnte den Pott allein fahren. Gemeinsam bilden sie eine Art Organismus mit Spezialisierung, Arbeitsteilung und möglichst reibungsloser Abstimmung untereinander. Über den Erfolg des Ganzen entscheidet die Gemeinschaft. Die Verantwortung trägt zwar der Kapitän, aber er ist nur so gut, wie seine Mann- und Frauschaft es zulassen.

    Robert FitzRoy hat Glück. Nach der harschen Bestrafung seiner Crew am Tag vor der Abreise arbeiten die Männer - immerhin fast fünf Jahre am Stück - so gut zusammen, dass weder im Logbuch noch in den Aufzeichnungen der Reisenden irgendwelche Zwischenfälle Erwähnung finden. Stattdessen ist von einer Kostümparty beim Überqueren des nullten Breitengrads die Rede, wo Debütant Darwin mit verbundenen Augen und Eimern voll Wasser seine Äquatortaufe erhält, von heillosen Besäufnissen, gemeinsamen Exkursionen und sportlichen Wettkämpfen, die Darwin mit Olympischen Spielen vergleicht: Es war recht vergnüglich anzusehen, mit welchem Schuljungeneifer sie spielten wie so viele Kinder . FitzRoy weiß nur zu gut um den Wert solcher Annehmlichkeiten: Da gibt es immer noch etwas, das er seinen Leuten wegnehmen kann.
    Alle Kapitäne, mit denen ich auf meiner Reise fahre, zeigen in etwa die gleichen Merkmale. Überdurchschnittlich intelligent, aber nicht unbedingt außergewöhnlich gebildet, strahlen sie Ruhe und Routine aus. In keinem Moment vergessen sie ihre Macht, aber auch nicht ihre Verantwortung. Die älteren

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