Darwin und die Götter der Scheibenwelt
von der Gegenwart determiniert – und zwar nicht wegen der Rolle des Zufalls, sondern weil es so etwas wie Zukunft oder Gegenwart gar nicht gibt.
Denken Sie als Analogie an das Kinderspiel von Schlangen und Leitern. Bei jedem Wurf des Würfels rücken die Spieler ihre Steine auf dem Spielplan von Feld zu Feld; traditionell gibt es hundert Felder. Manche sind mit Leitern verbunden, und wenn man auf einem unteren Leiterfeld landet, kommt man sofort nach oben; zwischen anderen liegen Schlangen, und da fällt man vom oberen Feld sofort nach unten. Wer das Zielfeld als Erster erreicht, der gewinnt.
Um die Beschreibung zu vereinfachen, wollen wir uns vorstellen, dass jemand allein ›Schlangen und Leitern‹ spielt, dass also nur ein Stein im Spiel ist. Dann ist zu jedem Zeitpunkt der ›Zustand‹ des Spiels durch ein einziges Feld bestimmt: dasjenige, wo sich gerade der Stein befindet. In dieser Analogie wird der Spielplan selbst zum Phasenraum, unserem Gegenstück zu Platonien. Der Stein verkörpert das gesamte Universum. In dem Maß, wie der Stein nach den Spielregeln umherspringt, ändert sich der Zustand des ›Universums‹. Der Weg, den der Stein nimmt – die Liste von Feldern, die er nacheinander besetzt –, entspricht der Weltlinie des Universums. In dieser Interpretation existiert die Zeit, weil jeder einzelne Zug des Steins einem Ticken der kosmischen Uhr entspricht.
›Schlangen und Leitern‹ in der Quantenwelt geht ganz anders. Der Spielplan ist derselbe, doch jetzt zählt nur noch die Wahrscheinlichkeit, mit der der Stein ein bestimmtes Feld besetzt – nicht nur in einem bestimmten Stadium des Spiels, sondern insgesamt. Die Wahrscheinlichkeit, sich in einem bestimmten Stadium auf dem ersten Feld zu befinden, ist beispielsweise eins, denn dort fängt man immer an. Die Wahrscheinlichkeit, sich auf dem zweiten Feld zu befinden, ist 1/6, denn dorthin kommt man nur, wenn man beim ersten Wurf eine Eins wirft. Und so weiter. Wenn wir alle diese Wahrscheinlichkeiten erst einmal ermittelt haben, können wir die Spielregeln und das Konzept eines ›Zugs‹ vergessen. Jetzt bleiben nur noch die Wahrscheinlichkeiten. Das ist die Quantenversion des Spiels, und es gibt darin keine expliziten Züge, nur Wahrscheinlichkeiten. Da es keine Züge gibt, gibt es auch nicht den Begriff des ›nächsten‹ Zugs und kein sinnvolles Konzept der Zeit.
Unser Universum, sagt uns Barbour, ist ein Quantenuniversum, also ähnelt es der Quantenversion von ›Schlangen und Leitern‹, und die ›Zeit‹ ist ein Konzept ohne Bedeutung. Warum also bilden wir naiven Menschen uns ein, dass die Zeit fließe, dass das Universum (zumindest der Teil in unserer Nähe) eine lineare Sequenz von Veränderungen durchlaufe?
Für Barbour ist der scheinbare Ablauf der Zeit eine Illusion. Er schlägt vor, dass Platonien-Konfigurationen von hoher Wahrscheinlichkeit in sich einen ›Anschein von Geschichte‹ enthalten müssen. Sie sehen aus, als hätten sie eine Vergangenheit. Es ist ein wenig wie bei der alten Nuss der Philosophen: Vielleicht wird das Universum in jedem Augenblick neu erschaffen (wie im Zeitdieb ), aber in jedem Augenblick wird es mitsamt scheinbaren Spuren einer ausgedehnten vergangenen Geschichte erschaffen. Solche scheinhistorischen Wolken werden in Platonien Zeitkapseln genannt. Nun finden wir unter diesen hochwahrscheinlichen Konfigurationen die Anordnung der Neuronen in einem mit Bewusstsein begabten Gehirn. Mit anderen Worten, das Universum selbst ist zeitlos, aber unsere Gehirne sind Zeitkapseln, Konfigurationen hoher Wahrscheinlichkeiten, und diese enthalten automatisch die Illusion , sie hätten eine vergangene Geschichte gehabt.
Das ist eine hübsche Idee, wenn man derlei mag. Aber sie steht und fällt mit Barbours Behauptung, Platonien müsse zeitlos sein, weil es nur »ein für allemal gültige Wahrscheinlichkeiten für jede mögliche Konfiguration geben kann«. Diese Behauptung erinnert auffällig an eins von Xenos – Verzeihung, Zenons – Paradoxen: an den Pfeil. Welches besagt, wie Sie sich erinnern, dass ein Pfeil in jedem Augenblick einen bestimmten Ort hat, sich also nicht bewegen kann. Analog dazu sagt uns Babour, dass Platonien in jedem Augenblick (wenn es so etwas geben könnte) einen spezifischen Wahrscheinlichkeitsnebel haben muss, und er schlussfolgert, dass sich dieser Nebel nicht verändern kann (und es also auch nicht tut).
Wir denken bei einer Alternative zu Barbours zeitlosem
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