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Das 1. Buch Des Blutes - 1

Das 1. Buch Des Blutes - 1

Titel: Das 1. Buch Des Blutes - 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
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Augenblick, in dem sein Körper wertloser Fleischmatsch würde, warum er gelebt, warum er hatte sterben müssen?
    Dann dachte er: Quaid wird es nicht wagen. »Wird es nicht wagen l«
    kreischte er. »Wird es nicht wagen!«
    Das Dunkel war ein Wortefresser. Kaum gellte er hinein, war es so, als hätte er nie einen Mucks gemacht.
    Und dann ein zweiter Gedanke: ein echter Finsterling. Angenommen, Quaid hatte diese kreisförmige Hölle deshalb für seine Einlochung aufgetrieben, weil sie nie gefunden, nie ausgekundschaftet würde?
    Womöglich wollte er sein Experiment bis zum Äußersten vorantreiben. Bis zum Äußersten. Der Tod war das Äußerste. Und war das nicht das höchste, absolute Experiment für Quaid? Einen Menschen beim Sterben zu beobachten: zu beobachten, wie die Todesangst, der Urquell des Grauens, herannaht? Sartre hatte geschrieben, daß kein Mensch je bewußt den eigenen Tod erleben könne. Aber den Tod anderer zu erleben, hautnah - die akrobatischen Verrenkungen zu beobachten, die der Verstand zweifellos vollführen würde, um die bittere Wahrheit zu umgehen - das war doch ein Schlüssel zum Wesen des Todes, oder? Das taugte eventuell, in irgendeinem bescheidenen Ausmaß, dazu, einen Mann auf seinen eigenen Tod vorzubereiten.
    Das Grauen eines andren stellvertretend, wissend durchzumachen, war die sicherste, klügste Methode, mit der Bestie in Berührung zu kommen.
    Ja, dachte er, Quaid könnte mich töten; aus seiner eigenen Schreckensangst heraus.
    Der Gedanke verschaffte Steve eine bittere Genugtuung. Dieser Quaid, der unvoreingenommene Experimentator, der Möchtegern-Erzieher, war von Schreckensängsten besessen, weil sein Grauen am allertiefsten saß.
    Deswegen mußte er andere beim Umgang mit ihrer Furcht beobachten. Er brauchte eine Lösung, einen Ausweg für sich selbst.
    All dies durchzudenken, nahm Stunden in Anspruch. Steves Verstand war quecksilbrig in der Finsternis, aber unkontrollierbar, zügellos. Es fiel ihm schwer, eine Argumentationskette sehr lang durchzuhalten.
    Seine Gedanken glichen Fischen, kleinen, schnellen Fischen, die sich aus seinem Griff herauswanden, sobald er sie zu fassen bekam. Aber jeder Gedankenkrümmung lag die Einsicht zugrunde, daß er Quaid bei diesem Spiel schlagen mußte. Daran war nicht zu rütteln. Er mußte ruhig bleiben; sich als untaugliches Objekt für Quaids Analyse erweisen.
    Die während dieser Stunden gemachten Fotos zeigten Stephen, wie er mit geschlossenen Augen auf dem Rost lag, einen Ausdruck leichten Mißmuts im Gesicht. Gelegentlich huschte, paradoxerweise, ein Lächeln über seine Lippen. Hin und wieder war unmöglich zu entscheiden, ob er schlief oder wach war, dachte oder träumte.
    Quaid wartete.
    Endlich begannen Steves Augen unter den Lidern zu zucken, das unfehlbare Anzeichen des Träumens. Es war Zeit, das Rad der Folterbank zu drehen, solang die Versuchsperson schlief.
    Steves Hände steckten in Handschellen, als er erwachte. Neben sich konnte er eine Schale Wasser auf einem Teller sehen und eine zweite Schale voll lauwarmem, ungesalzenem Porridge daneben. Er aß und trank dankbar.
    Während er aß, registrierte er zweierlei. Erstens, daß ihm sein Eßgeräusch im Kopf sehr laut vorkam, und zweitens, daß er eine Vorrichtung, etwas Straffgezogenes um seine Schläfen spürte.
    Die Fotos zeigen Stephen, wie er unbeholfen zu seinem Kopf hinauf-greift. Gurtzeug ist ihm übergestülpt, festgeschnallt und an passender Stelle verschlossen. Unverrückbar preßt es ihm Stöpsel tief in die Ohren und verhindert so, daß irgendein Geräusch hineindringt.
    Die Fotos zeigen seine Verwirrung. Dann Wut. Dann Angst.
    Steve war taub.
    Das einzige, was er hören konnte, waren die Geräusche in seinem Kopf. Das Klicken, Knacken seiner Zähne, das Matschen und Schlingen seines Gaumens. Die Töne dröhnten zwischen seinen Ohren wie Kanonen.
    Tränen schössen ihm in die Augen. Er stieß mit den Füßen gegen den Rost, ohne das rasselnde Geklapper seiner Fersen auf den metallenen Gitterstäben zu hören. Er kreischte, bis sein Schlund sich anfühlte, als ob er blutete. Er hörte keinen seiner Schreie.
    Panik setzte ein in ihm.
    Die Fotografien zeigten ihre Geburt. Stephens Gesicht war gerötet.
    Seine Augen geweitet, Gebiß und Zahnfleisch in einer Grimasse zur Schau gestellt. Er sah aus wie ein verschreckter Affe.
    All die vertrauten Kindheitsgefühle fegten über ihn hinweg. Er erinnerte sich an sie wie an die Gesichter alter Feinde; das Schlottern der

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