Das 1. Buch Des Blutes - 1
mit dem Fuß gegen den Tisch und warf die Teller und Tassen auf den Boden. Dann lief er ins nächste Zimmer und warf alle Papiere, die er zu fassen kriegte, in die Luft. Es war schön anzusehen, wie sie hochflatterten und runterflatterten, Manche kamen auf die Vorderseite zu liegen, manche auf die Rückseite. Manche waren vollgeschrieben. Manche waren Bilder. Schauerliche Bilder. Bilder, bei denen ihm ganz seltsam wurde.
Lauter Bilder von toten Leuten, eins wie das andere. Manche der Bilder zeigten kleine Kinder, andere schon große Kinder. Sie lagen ausgestreckt oder saßen halbaufgerichtet, und große Schnitte waren in ihren Gesichtern und ihren Körpern, Schnitte, die ein schlimmes Kuddelmuddel zeigten, einen Mischmasch aus glitzrigen Stückchen und glibbrigen Stückchen. Und rundherum um die toten Leute: schwarze Farbe. Nicht in ordentlichen Pfützen, sondern rundherum verspritzt und mit den Fingern hingeschmiert, mit den Händen abgeklatscht, ganz schlimm und schluderig.
Auf drei oder vier von den Bildern war das Ding noch da, das die Schnitte machte. Er wußte das Wort dafür.
Axt.
Da war eine Axt im Gesicht einer Dame, fast bis zum Griff drin vergraben. Da war eine Axt im Bein eines Mannes, und wieder eine, die lag auf dem Boden einer Küche neben einem toten Baby.
Seltsam, dachte Steve, dieser Mann sammelt Bilder von Toten und Äxten.
Das war sein letzter Gedanke, ehe der allzu vertraute Chloroformduft seinen Kopf erfüllte und er die Besinnung verlor.
Der schmuddelige Hauseingang roch nach altem Urin und frisch Erbrochenem. Es war sein eigenes Erbrochenes; sein Hemd war vorn ganz voll damit. Er versuchte aufzustehn, aber seine Knie fühlten sich wacklig an. Es war sehr kalt. Der Hals tat ihm weh.
Dann hörte er Schritte. Klang so, als ob die Maus zurückkäme.
Vielleicht würde sie ihn heimbringen.
»Aufstehn, Burschi!«
Es war nicht die Maus. Es war ein Polizist.
»Was liegst ‘n hier rum? Aufstehn, hab’ ich gesagt.«
Indem er sich mit den Armen gegen das bröckelige Mauerwerk des Hauseingangs abstützte, kam Steve wieder auf die Beine. Der Polizist leuchtete ihn mit seiner Stablampe an.
»Du lieber Gott«, sagte der Polizist, und der Ekel stand ihm ins Gesicht geschrieben. »Bist in ‘nem echt bekackten Zustand. Wo wohnst ‘n?«
Steve schüttelte den Kopf und starrte wie ein beschämter Schuljunge auf sein von Erbrochenem durchtränktes Hemd.
»Wie heißt du?«
Er konnte sich nicht genau erinnern.
»Na, wie denn, Junge?«
Er gab sich ja Mühe. Wenn der Polizist nur nicht so schreien würde.
»Na los, reiß dich zusammen!«
Die Worte ergaben wenig Sinn. Steve konnte spüren, wie ihm beißend Tränen in die Augen stiegen.
»Heim.«
Jetzt flennte er, schniefte Rotz, kam sich gottsjämmerlich verlassen vor. Sterben wollte er: wollte sich hinlegen und sterben.
Der Polizist schüttelte ihn. »Bist du von irgendwas high?« wollteer wissen, zog Steve dabei in den Schein der Straßenbeleuchtung und starrte ihm ins verweinte Gesicht.
»Mach besser, daß du weiterkommst!«
»Mami«, sagte Steve. »Ich will zu meiner Mami.«
Die Worte veränderten diese Begegnung von Grund auf.
Mit einem Mal fand der Polizist das Schauspiel mehr als widerlich, mehr als jammervoll. Dieser kleine Dreckskerl mit seinen blutunterlaufenen Augen und seinem übers Hemd verteilten Essen ging ihm langsam wirklich auf die Nerven. Zu viel Geld, zu viel Scheiße in seinen Adern, zu wenig Disziplin.
»Mami« machte das Maß voll. Er boxte Steve in die Magengegend, ein sauberer, harter, zweckdienlicher Hieb. Wimmernd krümmte sich Steve zusammen.
»Maul halten, Burschi!«
Ein zweiter Hieb, und die Aufgabe, das Kind kampfunfähig zu machen, war erledigt. Dann krallte er sich eine Handvoll Stevescher Haare und zog das Gesicht des Drogenbubis zu seinem hoch.
»Willst wohl gern ‘n verkommenes Wrack werden, ja?«
»Nein. Nein.« Steve wußte nicht, was ein verkommenes Wrack war.
Er wollte nur erreichen, daß der Polizist ihn mochte. »Bitte«, sagte er, und erneut kamen ihm die Tränen, »bring mich heim.«
Der Polizist schien verwirrt. Dem Kind war es nicht eingefallen, zurückzuschlagen und sich auf seine Bürgerrechte zu berufen, wie’»
die meisten von der Sorte taten. Normalerweise landeten sie nämlich am Boden, mit blutiger Nase und dem Ruf nach ‘nem Sozialarbeiter.
Der hier weinte bloß. Dem Polizisten wurde der Junge langsam unheimlich. Als ob er nicht ganz dicht wäre oder so was. Und er hatte die
Weitere Kostenlose Bücher