Das 1. Buch Des Blutes - 1
Glieder, der Schweiß, der Brechreiz. Verzweifelt griff er sich die Wasserschüssel und kippte sie sich übers Gesicht. Vorübergehend drängte der Kaltwasserschock sein Gemüt von der Panikleiter, die es hinaufkletterte, wieder herunter. Er legte sich flach auf den Rost, sein Körper ein Brett, und ermahnte sich, tief und gleichmäßig zu atmen.
Nur ruhig, ruhig, ruhig, sagte er laut.
In seinem Kopf konnte er die Zunge schnalzen hören. Er konnte auch seinen Schleim hören, wie er sich zäh-träg in den panikverengten Nasengängen bewegte,, sein Stocken und Wiederfließen den Ohren übermittelte. Und jetzt konnte er das leise, schwache Zischen vernehmen, das unter all den anderen Geräuschen wartete. Das Stimmgetön seines denkenden, fühlenden Selbst…
Wie das sinnleere Rauschen zwischen den Rundfunksendern. Es war dasselbe Wimmern, das ihn unter der Narkose holen kam, dasselbe Geräusch, das regelmäßig an der Einschlafgrenze in seinen Ohren ertönte.
Noch immer zuckten nervös seine Glieder, und nur halbwegs bekam er mit, wie heftig er sich mit seinen Handschellen herumschlug, gleichgültig, ob ihre Kanten ihm die Haut an den Gelenken aufscheuerten.
Die Fotografien protokollierten all diese Reaktionen haargenau. Stephens Kampf mit der Hysterie, seine rührenden Versuche, die Ängste vom Wiederauftauchen abzuhalten. Seine Tränen. Seine blutigen Handgelenke.
Schließlich siegte die Erschöpfung über die Panik; wie so oft in seinen Kindertagen. Wie viele Male war er, mit dem Salzgeschmack der Tränen in Nase und Mund, eingeschlafen, außerstande, sich noch irgend länger zur Wehr zu setzen?
Die Strapaze hatte den Lärmpegel seiner Kopfgeräusche erhöht. Jetzt sang sein Hirn ihn anstelle eines Schlummerliedes mit pfeifendem Geschrill und Gebrüll in den Schlaf.
Eine Wohltat: das Vergessen.
Quaid war enttäuscht. Aus der Schnelligkeit von Stephen Graces Reaktionen ging klar hervor, daß er wirklich demnächst zusammen-brechen würde. Das Experiment lief erst ein paar Stunden, und er war tatsächlich schon so gut wie zusammengebrochen und geknackt. Wo Quaid so auf Stephen gebaut hatte! Nach monatelanger Vorarbeit sah es jetzt ganz so aus, als ob diese Versuchsperson im Begriff wäre, den Verstand zu verlieren, ohne dabei den geringsten Anhaltspunkt preis-zugeben.
Ein Wort, ein armseliges Wort, mehr brauchte Quaid nicht. Ein kleines, das Wesen der Erfahrung betreffendes Indiz. Oder noch besser, etwas, in dem sich eine Lösung andeutete, ein heilender Totem, ein Gebet gar. Sicher kommt doch irgendein Erlöser über die Lippen, wenn die Persönlichkeitsstruktur in den Wahnsinn hinweggefegt wird? Etwas muß es doch geben.
Quaid wartete wie ein Aasvogel an der Stätte irgendeines grausigblutigen Geschehens, zählte die Minuten, die der verhauchenden Seele noch gegeben waren und erhoffte sich einen Leckerbissen.
Steve erwachte auf dem Rost, mit dem Gesicht nach unten. Die Luft war jetzt viel muffiger, und die metallenen Gitterstäbe schnitten ins Fleisch seiner Wange. Ihm war heiß und unbehaglich.
Er lag still und ließ die Augen sich wieder an seine Umgebung gewöhnen. Die Linien des Rosts verliefen sich in vollendeter Perspektive, hielten auf die Schachtwand zu. Das einfache Netzwerk kreuz und quer laufender Stäbe kam ihm bildhübsch vor. Ja, bildhübsch.
Hin und her folgte er den Linien, bis er das Spiel satt hatte. Angeödet wälzte er sich auf den Rücken herum und spürte, wie das Gitter unter seinem Körper vibrierte. War es jetzt weniger stabil? Es schien ein bißchen zu schaukeln, während er sich bewegte.
Erhitzt und verschwitzt knöpfte Steve sein Hemd auf. Er hatte Schlafspucke am Kinn, aber keine Lust, sie wegzuwischen. Ihm doch schnuppe, wenn er sabberte. Wer hätt’s denn sehen sollen? Er riß sich das Hemd halb herunter und stieß mit Hilfe des einen Fußes den Schuh vom ändern.
Schuh - Metallrost - Fall. Trag stellte sein Verstand die Verbindung her. Er setzte sich auf. Ach, armer Schuh. Sein Schuh würde fallen. Er würde zwischen den Stäben durchrutschen und verlorengehen. Aber nein. Er überbrückte, kantengenau, mit Absatz und Spitze ein Gitterloch; er war noch zu retten, wenn Steve sich Mühe gab.
Er langte nach seinem armen, armen Schuh, und seine Bewegung verlagerte den Rost. Der Schuh fing an zu rutschen.
»Bitte«, bettelte Steve, »fall nicht runter!« Er wollte ihn nicht verlieren, seinen schönen Schuh, seinen bildhübschen Schuh. Er durfte nicht fallen. Er durfte
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