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Das 1. Buch Des Blutes - 1

Das 1. Buch Des Blutes - 1

Titel: Das 1. Buch Des Blutes - 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
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glaubte. Er erzählte mir auch, daß der andere Leibwächter, der Mann, der geschossen und Pettifer getötet hatte, im Gefängnis Selbstmord begangen hatte.
    Sein Leben, sagte er, wäre sinnlos. Sie hätte es zerstört. Soweit ich ihn beruhigen konnte, tat ich es. Sie sei nicht bösartig, und er müsse keine Angst haben, daß sie ihn holen käme. Als ich ihm das sagte, weinte er, mehr aus dem Gefühl des Verlustes heraus, glaube ich, als vor Erleichterung.
    Endlich fragte ich ihn, ob er wüßte, wo Jacqueline jetzt war. Ich hatte mir diese Frage bis zuletzt aufgehoben, obwohl sie die allerdringlichste war, wahrscheinlich weil ich nicht zu hoffen wagte, daß er es wußte. Aber bei Gott, er wußte es. Sie hatte das Haus nicht unmittelbar nach der Erschießung Pettifers verlassen. Sie hatte sich mit ihm, dem Augenzeugen, hingesetzt, um in aller Ruhe mit ihm über seine Kinder, seinen Schneider, seinen Wagen zu plauschen. Sie fragte ihn nach seiner Mutter, und er erzählte ihr, seine Mutter sei eine Prostituierte gewesen. Ob sie glücklich gewesen sei? fragte Jacqueline. Das wüßte er nicht, sagte er. Ob sie jemals geweint hätte? fragte sie. Er habe sie in seinem ganzen Leben nie lachen oder weinen sehen, sagte er. Und sie nickte und dankte ihm.
    Später dann hatte ihm der andere Leibwächter, kurz vor seinem Selbstmord, erzählt, Jacqueline wäre nach Amsterdam gegangen. Das wußte er aus erster Hand, von einem Mann namens Koos. Und damit schließt sich langsam der Kreis, nicht?
    Sieben Wochen war ich in Amsterdam, ohne einen einzigen Hinweis auf ihren Verbleib zu finden - bis gestern abend. Sieben Wochen Zölibat, völlig untypisch für mich. Apathisch vor Frustration ging ich zum Bordellviertel hinunter, um eine Frau aufzutreiben. Sie sitzen dort bekanntlich in den Fenstern wie Mannequins, neben rosa gefransten Lampen. Manche haben Zwerghunde auf dem Schoß, manche lesen. Die meisten starren wie hypnotisiert auf die Straße hinaus.
    Es war kein Gesicht darunter, das mich interessiert hätte. Sie kamen mir alle freudlos, lichtlos vor, hatten zu wenig Ähnlichkeit mit ihr.
    Trotzdem konnte ich nicht wieder fort. Ich war wie ein dicker Junge in einem Süßwarenladen, zu angeekelt, etwas zu kaufen, zu verfressen, um zu gehen.
    Die halbe Nacht war etwa verstrichen, da sprach mich aus der Menge heraus ein junger Mann an, der bei genauerem Hinsehen alles andere als jung, vielmehr stark geschminkt war. Er hatte keine Augenbrauen, nur dünn mit einem Stift gezogene Bögen auf schimmernder Haut Eine Traube Goldohrringe im linken Ohr, ein halb gegessener Pfirsich in weiß behandschuhter Hand, offene Sandalen, lackierte Zehennägel Besitzergreifend hielt er mich am Ärmel fest.
    Sicher entlockte mir seine widerwärtige Erscheinung nur ein höhnisches Grinsen, aber anscheinend brachte ihn meine Verachtung absolut nicht außer Fassung. Sie sehen aus wie ein Mann mit Sinn fürs Besondere, sagte er. Ich sah keineswegs danach aus. Sie müssen sich irren, sagte ich. Nein, entgegnete er, ich irre mich nicht. Sie sind Oliver Vassi.
    Absurderweise war mein erster Gedanke, daß er mich zu töten beabsichtigte. Ich versuchte, mich loszureißen. Sein Griff um meine Manschette war unerbittlich.
    Sie wollen eine Frau, sagte er. War ihm mein Zögern deutlich genug, um zu wissen, daß ich Ja meinte, obwohl ich Nein sagte? Ich habe eine Frau wie sonst keine, fuhr er fort, sie ist ein wahres Wunder. Ich weiß, Sie werden mit ihr leibhaftig zusammenkommen wollen.
    Was gab mir die Gewißheit, daß es Jacqueline war, von der er redete?
    Vielleicht die Tatsache, daß er mich in dem Menschengewühl ausfindig gemacht und erkannt hatte, als ob sie irgendwo oben an einem Fenster stünde, um von dort aus die ihr zu servierenden Verehrer zu bestellen, ganz wie ein Gast im Lokal Hummer aus dem Wasserbecken bestellt. Vielleicht auch die Art, in der mich seine Augen anstrahlten und den meinen ohne Furcht begegneten, denn Furcht, wie auch Verzückung, empfand er nur in Gegenwart eines einzigen Geschöpfs auf Gottes mörderischer Erde. Konnte ich mich nicht gleichfalls in diesem gefahrsprühenden Blick widergespiegelt sehen? Er kannte Jaqueline, darüber bestand für mich kein Zweifel.
    Er wußte, daß ich angebissen hatte, denn kaum zögerte ich, wandte er sich mit affektiertem Achselzucken von mir ab, als wollte er sagen: Du hast deine Chance verpaßt. Wo ist sie? sagte ich und packte ihn an seinem spindeldürren Arm. Mit einer vielsagenden Kopf drehung wies

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