Das 1. Buch Des Blutes - 1
er die Straße hinunter, und ich, mit einem Mal blöde wie ein Idiot, lief hinter ihm her, hinaus aus dem Gedränge. Die Straße leerte sich, während wir gingen, die roten Lichter wichen düsterem Zwielicht und dann der Finsternis. Nicht etwa bloß einmal, ein dutzendmal fragte ich ihn, wohin wir gingen. Er ließ sich zu keiner Antwort bewegen, bis wir vor der schmalen Tür eines schmalen Hauses am Ende irgendeiner rasierklingendünnen Straße anlangten. Wir sind da, verkündete er, als sei die Bruchbude das Schloß von Versailles.
jm zweiten Stock des ansonsten leeren Hauses war ein Zimmer mit einer schwarzen Tür. Er drängte mich dagegen. Sie war abgeschlossen.
»Schaun Sie«, forderte er mich auf, »da drinnen ist sie.«
»Es ist abgesperrt«, erwiderte ich. Das Herz wollte mir zerspringen.
Sie war nah, ohne jeden Zweifel, sie war nah, das wußte ich.
»Schaun Sie«, sagte er nochmals und deutete auf ein winziges Loch in der Türfüllung. Ich verschlang das Licht, das da herausdrang, stieß mein Auge durch das winzige Loch hin zu ihr.
Das verwahrloste Innere war leer, bis auf eine Matratze und Jacqueline. Mit gespreizten Armen und Beinen lag sie auf dem Rücken, Hand-und Fußgelenke waren an rohe Pflöcke festgebunden, die an den vier Ecken der Matratze unmittelbar in den Boden eingerammt waren.
»Wer hat das getan?« wollte ich wissen, ohne mein Auge von ihrer Nacktheit abzuwenden.
»Sie will es so«, antwortete er. »Es ist ihr Wunsch. Sie will es so.«
Sie hatte meine Stimme gehört; mit einiger Mühe hob sie ruckweise ihren Kopf und starrte direkt die Tür an. Als sie mich ansah, stand mir, ich schwor’s, buchstäblich jedes einzelne Haar zur Begrüßung zu Berge und neigte sich wieder auf ihr Geheiß.
»Oliver«, sagte sie.
»Jacqueline.« Mit einem Kuß drückte ich das Wort aufs Holz.
Ihr Körper brodelte, ihr rasiertes Geschlecht öffnete und schloß sich wie irgendein erlesenes Gewächs, purpurn und fliederfarben und rosenrot.
»Lassen Sie mich rein«, sagte ich zu Koos.
»Sie überleben nicht eine einzige Nacht mit ihr.«
»Lassen Sie mich rein.«
»Sie ist teuer«, warnte er.
»Wieviel wollen Sie?«
»Alles was Sie haben. Ihr letztes Hemd, Ihr Geld, Ihren Schmuck; dann gehört sie Ihnen.«
Ich wollte die Tür einschlagen oder ihm die nikotingefärbten Finger einen nach dem ändern brechen, bis er den Schlüssel herausrückte. Er wußte, was ich dachte.
»Der Schlüssel ist versteckt«, sagte er. »Und die Tür ist stabil. Sie müssen bezahlen, Mr. Vassi! Sie wollen bezahlen.«
Das stimmte. Ich wollte bezahlen.
»Sie wollen mir alles geben, was Sie bis jetzt besaßen, alles was Sie bis jetzt gewesen sind. Alle Brücken hinter sich abbrechen und ohne jeden Rückhalt zu ihr gehn, das wollen Sie. Ich weiß es. So gehen sie alle zu ihr.«
»Alle? Gibt es viele?«
»Sie ist unersättlich«, sagte er freudlos. Das war nicht der Stolz eines Zuhälters: Es war seine Qual, das erkannte ich deutlich. »Immer mehr treib’ ich für sie auf, und begrab’ sie dann.«
Begrab’ sie dann.
Wahrscheinlich ist das Koos’ Funktion; er beseitigt die Toten. Und nach dieser Nacht wird er mich in seine lackierten Hände bekommen.
Er wird mich von ihr wegholen, wenn ich ausgetrocknet und für sie unbrauchbar bin, und irgendeine Grube, irgendeinen Kanal, irgendeinen Ofen auftreiben, um mich loszuwerden. Keine besonders reizvolle Vorstellung.
Aber bitte, hier bin ich, mit dem ganzen Geld, das ich durch den Verkauf der wenigen mir noch verbliebenen Liegenschaften aufbringen konnte, vor mir auf dem Tisch, meine Würde dahin, mein Leben nur noch an einem Faden hängend, und warte auf einen Luden und einen Schlüssel.
Es ist stockdunkel jetzt, und er verspätet sich. Aber ich glaube, er ist gezwungen zu kommen. Nicht des Geldes wegen; wahrscheinlich hat er außer seinem Heroin und seiner Wimperntusche nur wenige Bedürfnisse. Er wird kommen, um mit mir ein Geschäft zu machen, weil sie es verlangt und er ihr hörig ist, um keinen Deut weniger, als ich es bin. O ja, er wird kommen. Selbstverständlich wird er kommen.
Nun gut, ich denke, das muß reichen.
Dies ist mein Zeugenbericht. Ich habe jetzt keine Zeit mehr, ihn nochmals durchzulesen. Koos’ Schritte nähern sich auf der Treppe (er hinkt), und ich muß mit ihm gehen. Ich überlasse diese Niederschrift ihrem Finder, egal wem, zu der Verwendung, die ihm passend scheint.
Spätestens morgen früh bin ich tot - und glücklich. Glaubt es
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