Das 2. Buch Des Blutes - 2
hohe Ziegelmauer voneinander abgegrenzt waren. Im Vorhof der einen lag ein kleines scheckiges Schwein auf der Seite im Schmutz: seine Flanke führte ein Eigenleben aus Zecken und Wanzen. Ein weiteres kleines Schwein konnte man andeutungsweise in der Dämmerung des Innenraums erkennen. Es lag auf verschissenem Stroh. Beide zeigten keinerlei Interesse an Redman.
Die andere Abteilung schien leer zu sein.
Im Vorhof lag kein Dung, und weit weniger Fliegen saßen auf dem Stroh. Der aufgestaute Geruch alter Exkremente hatte jedoch auch hier an durchdringender Schärfe nichts verloren, and Redman war im Begriff, sich abzuwenden, als sich von drinnen ein Geräusch vernehmen ließ und etwas Großes, Massiges sich aufrichtete. Er lehnte sich über das mit einem Vorhängeschloß versperrte Holzgatter, versuchte mit Willenskraft, den Gestank zu vergessen, und spähte in den Stall.
Das Schwein kam heraus, um ihn anzusehen. Es war dreimal so groß wie seine Genossen, eine riesige Sau, die ohne weiteres die Mutter der Schweine im Nebenpferch hätte sein können. Aber während ihr potentieller Wurf schmutzstarrende Flanken hatte, war die Sau in tadellos sauberem Zustand, ihr schimmernder, rosafarbener Körper strotzte vor Gesundheit. Schon ihre bloße Größe beeindruckte Redman. Sie mußte schätzungsweise doppelt so schwer sein wie er: eine alles in allem gewaltige Kreatur. Auf ihre grobschlächtige Art ein hinreißendes Tier mit nach oben gebogenen blonden Wimpern, mit zartem Flaum auf dem glänzenden Rüssel, der sich um die sanft schlackernden Ohren zu Borsten vergröberte, mit einem öligen, magnetischen Blick aus dunkelbraunen Augen.
Redman, ein Stadtkind, hatte selten die lebende Wahrheit gesehen, die sich hinter der Fleischportion auf seinem Teller verbarg, die ihr vorausging. Dieses wundervolle Mastschwein war für ihn eine Offenbarung. Die schlechte Presse, die er in Sachen Schweine immer geglaubt hatte, der üble Ruf, der den bloßen Namen zum Synonym für Schmutzigkeit machte, all das wurde Lügen gestraft.
Die Sau war schön, vom schnüffelnden Rüssel bis hin zum zierlichen Korkenzieher des Schwanzes, eine Verführerin auf Hachsen und Klauen.
Ihre Augen betrachteten Redman als ihresgleichen, da gab es für ihn keinen Zweifel: Sie bewunderte ihn kaum weniger, als er sie bewunderte.
Sie war heil in ihrem Kopf, er in seinem. Sie waren einander gleich unter einem gleißenden Himmel.
Aus der Nähe roch ihr Körper süß. Offensichtlich war jemand an ebendiesem Morgen dagewesen, um sie zu waschen und zu füttern. Ihr Trog, bemerkte Redman, war noch randvoll mit einem schlabbrig-breiigen Abfallfraß, den Überresten der gestrigen Mahlzeit. Sie hatte nichts davon angerührt, sie war kein Freßsack.
Bald schien sie sich ein komplettes Bild von ihm gemacht zu haben, und leise grunzend machte sie auf ihren flinken Füßen kehrt, um sich in die Kühle des Innenraums zurückzuziehen.
Die Audienz war beendet.
Art diesem Abend wollte er nach Lacey sehen. Man hatte den Jungen vom Krankenhaustrakt in ein schäbiges Zimmer verlegt, das er für sich allein hatte. Offenbar wurde er im Schlafsaal noch immer von den anderen Jungen gepiesackt, und der einzige Ausweg war diese Einzelhaft. Da saß er nun vor Redman auf einem Teppich aus Comic-Heften und starrte die Wand an. Die knalligen Titelseiten der Hefte ließen sein Gesicht milchiger erscheinen als je zuvor. Das Pflaster auf seiner Nase war abgegangen, und der Bluterguß auf dem Nasenrücken ging ins Gelbe über.
Redman gab Lacey die Hand, und der Junge blickte hoch zu ihm. Unverkennbar mußte seit ihrer letzten Begegnung eine Kehrtwendung erfolgt sein. Lacey war ruhig und gefaßt, ja gefügig. Sein Händedruck, ein Ritual, an das Redman sich bei allen Jungen hielt, die er außerhalb der Werkstatt traf, war schlaff.
»Geht’s dir gut?«
Der Junge nickte.
»Bist du gern allein?«
»Ja, Sir.«
»Aber irgendwann mußt du wieder in den Schlafsaal.«
Lacey schüttelte den Kopf.
»Du weißt doch selber, daß du nicht ewig hier bleiben kannst.«
»Ja, das weiß ich, Sir.«
»Du mußt wieder zurück.«
Lacey nickte. Irgendwie schien bei dem Jungen die Logik nicht mehr zu greifen. Er blätterte ein Superman-Heft auf und starrte auf die grellbunte Seite, ohne sie wirklich wahrzunehmen.
»Hör zu, Lacey! Ich möchte, daß wir beide uns recht verstehn.
Ja?«
»Ja, Sir.«
»Wenn du mich anlügst, kann ich nichts für dich tun. Doch klar, oder?«
»Ja.«
»Wieso hast du
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