Das 2. Buch Des Blutes - 2
war tot, ehe er den Boden berührte.
Redman drehte ihn um. An die Plötzlichkeit des Todes würde ersieh nie gewöhnen können. So schnell dahin zu sein, wie das Bild auf dem Fernsehschirm. Abgeschaltet und spurlos gelöscht. Ende der Sendung.
Bleiern umfing ihn das grenzenlose Schweigen der Korridore, als er zur Halle zurückging. Der Schnitt in seinem Bauch war unerheblich, und das Blut hatte aus seinem Hemd einen schorfigen Verband gebildet, indem es Baumwollstoff und Fleisch zusammenfügte und die Wunde dann verklebte. Sie tat fast überhaupt nicht weh. Aber der Schnitt war noch sein geringstes Problem: Jetzt galt es, Geheimnisse zu enträtseln, und er fühlte sich außerstande, sich ihnen zu stellen. Die verbrauchte, ausgelaugte Atmosphäre des Ortes gab ihm das Gefühl, selbst ausgelaugt und verbraucht zu sein. Gesundheit war hier nicht zu haben, keine Tugend, keine Vernunft.
Und er glaubte plötzlich an Geister.
In der Halle brannte Licht, eine nackte Birne schwebte über dem toten Raum. In ihrem Schein las er Laceys zerknitterten Brief. Die verschmierten Worte auf dem Papier schwirrten wie Funken ins Pulverfaß seines entnervten Grauens.
Mami,
Sie haben mich ans Schwein verfüttert. Glaub ihnen nicht, wenn sie vielleicht sagen, ich hab’ Dich nie liebgehabt, oder wenn sie vielleicht sagen, ich bin davongelaufen. Das bin ich nie. .Sie haben mich ans Schwein verfüttert. Ich hab’ Dich lieb.
Tommy.
Er steckte den Brief ein und rannte los, zum Gebäude hinaus und über den Sportplatz. Es war völlig dunkel: eine tiefe, sternlose Dunkelheit, und die Luft war stickig. Selbst bei Tageslicht kannte er den Weg zur Farm nicht genau, um so weniger bei Nacht. Sehr bald hatte er sich verlaufen, irgendwo zwischen dem Sportplatz und den Bäumen. Der Umriß des Hauptgebäudes hinter ihm war nicht auszumachen, es war zu weit weg; und die Bäume vor ihm sahen alle gleich aus.
Die Nachtluft war eklig schwül; kein Wind zur Erfrischung müder Glieder. Es war heraußen genauso still wie drinnen, als hätte sich die ganze Welt zum Innenraum umgestülpt: eine erstickende Kammer, von einer gemalten Wolkendecke abgeschlossen.
Er stand in der Dunkelheit, und das Blut hämmerte in seinem Kopf; er mußte raushekommen, wo er sich befand.
Links, wo er eigentlich die Nebengebäude vermutet hatte, flimmerte ein schwaches Licht. Offenkundig hatte er sich, was seinen Standort betraf, vollkommen geirrt. Das Licht kam vom Stall. Bei angestrengtem Hinsehen ließ es die Konturen des baufälligen Hühnerauslaufs hervortreten. Gestalten standen dort, mehrere, wie Zuschauer hei einem Spektakel, das er noch nicht sehen konnte.
Er ging los Richtung Stall, ohne zu wissen, was er dort nach seinem Eintreffen tun würde. Wenn sie alle wie Slape bewaffnet waren und dessen mörderische Absicht teilten, dann war es aus mit ihm. Der Gedanke beunruhigte ihn nicht. Heute nacht von dieser stillgelegten Welt freizukommen; die Alternative Hatte schon etwas Verlockendes. Ausgezählt und raus.
Und dort war Lacey. Nach seinem Gespräch mit der Leverthal, als er sich gefragt hatte, warum ihm alles, was den Jungen betraf, so naheging, war er einen Moment lang ziemlich verunsichert gewesen. Dieser Vorwurf der Sonderbehandlung, da war schon etwas Wahres dran. Gab es irgend etwas in ihm, das sich wünschte, Thomas Lacey läge nackt neben ihm? War das nicht der eigentliche Sinn der Leverthalschen Bemerkung?
Selbst jetzt, als er voller Ungewißheit auf die Lichter zulief, mußte er immer und ausschließlich an die Augen des Jungen denken, wie sie, riesengroß und fordernd, tief in die seinen geschaut hatten.
Vor ihm zeigten sich Gestalten in der Nacht, die von der Farm abzogen. Er konnte sie gegen den Lichtschein aus dem Stall sehen. War schon alles vorbei ? Er näherte sich der linken Seite des Gebäudes in einem großen Bogen, um den Zuschauern beim Verlassen des Schauplatzes auszuweichen. Sie wirkten in sich gekehrt: Kein Geplapper oder Lachen regte sich unter ihnen. Wie eine Glaubensgemeinde, die gerade von einem Begräbnis kommt, schritten sie durch die Dunkelheit, gemessen und mit gesenktem Kopf, jeder für sich allein. Es war unheimlich, diese gottlosen Straftäter von Ehrerbietung so gezähmt zu sehen.
Er erreichte den Hühnerauslauf, ohne irgendeinem von ihnen unmittelbar gegenüberzutreten. In der Nähe des Schweinestalls hielten sich noch immer ein paar Gestalten auf. Die Mauer der Saubehausung war von Dutzenden und Aberdutzenden Kerzen
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