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Das 2. Buch Des Blutes - 2

Das 2. Buch Des Blutes - 2

Titel: Das 2. Buch Des Blutes - 2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
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nicht mehr aus…«
    Beide lachten sie herzlich, küßten sich dann, schmeckten einander und sich selbst, ein Sich-Vermischen von Speichel mit dem Nachgeschmack salzigen Samens.
    Der folgende Tag war blendend hell, aber nicht besonders warm. Kein blauer Himmel: nur eine gleichmäßige weiße Wolkendecke. Die Morgenluft drang beißend in die Nasenschleimhaut wie Äther oder Pfefferminz.
    Auf dem Hauptplatz von Popolac sah Vaslav Jelovsek den Tauben zu: Sie forderten den Tod heraus mit ihrem Gehüpfe und Geflatter vor den herumsausenden Fahrzeugen, die militärische oder zivile Aufgaben zu erledigen hatten. Die Atmosphäre nüchterner Zweckmäßigkeit unterdrückte kaum die Erregung, die er an diesem Tag verspürte, eine Erregung, von der er wußte, daß sie von jedem Mann, jeder Frau, jedem Kind in Popolac geteilt wurde. Auch von den Tauben wurde sie geteilt, soviel er wußte. Möglicherweise spielten sie deswegen so überaus geschickt zwischen den Rädern, wohl wissend, daß ihnen an diesem Tag der Tage nichts Böses geschehen konnte.
    Er musterte nochmals den Himmel, jenen weißen Himmel, den erseit Tagesanbruch beguckt hatte. Die Wolkendecke hing tief; nicht ideal für die Feierlichkeiten. Eine Redewendung kam ihm in den Sinn, eine englische Redewendung, die er einen Freund hatte sagen hören: »den Kopf in den Wolken haben«. Sie bedeutete, schloß er intuitiv, von träumerischer Geistesabwesenheit, einem weißen gesichtslosen Traum umfangen zu sein.
    Das war alles, was der Westen über Wolken wußte, dachte er sarkastisch: daß sie ein Sinnbild für Träume waren. Es bedurfte schon einer Vorstellungskraft, die den Westlern fehlte, um diese beiläufige Redewendung buchstäbliche Wahrheit werden zu lassen. Würden sie nicht hier, in diesem abgelegenen Bergland, diesen leeren Worten zu einer aufsehenerregenden Wirklichkeit verhelfen? Sozusagen eine fleischgewordene Redensart: Ein Kopf in den Wolken.
    Schon stellte sich das erste Kontingent auf dem Platz auf. Einer oder zwei waren aus Krankheitsgründen nicht angetreten, aber Reserveleute standen bereit und warteten darauf, ihre Plätze einzunehmen. Solcher Eifer! Solch tiefzufriedenes Lächeln, wenn ein Reservist beziehungsweise eine Reservistin sich mit Name und Zahl aufgerufen hörte und aus der Formation trat, um sich in das Glied zu fügen, das bereits Gestalt annahm.
    Ringsum wahre Wunder an Organisation. Jeder hatte seine spezielle Aufgabe zu erledigen, seinen besonderen Platz einzunehmen. Kein Geschrei oder Gedränge: In der Tat, der Stimmpegel hob sich kaum über ein eifriges Geflüster. Voll Bewunderung sah er zu, wie die Arbeit des In-Stellung-Bringens und Anschnallens, des Stauchens und Vertäuens voranging.
    Es würde ein langer, anstrengender Tag werden. Vaslav war seit einer Stunde vor Tagesanbruch auf dem Platz; er trank Kaffee aus importierten Plastikbechern, erörterte die halbstündigen Wettermeldungen, die aus Pristina und Mitrovica hereinkamen und hatte den sternenlosen Himmel beobachtet, als diesen das graue Morgenlicht überkroch. Jetzt trank er schon seine sechste Tasse Kaffee an diesem Tag, und es war noch kaum sieben Uhr.
    Metzinger, drüben auf der anderen Seite des Platzes, wirkte ebenso müde und besorgt, wie sich Vaslav fühlte.
    Gemeinsam hatten sie die Dämmerung aus dem Osten hervorsickern sehen, Metzinger und er. Aber jetzt hatten sie sich, unter Hintansetzung ihrer Kameradschaft, getrennt und würden nicht mehr miteinander reden, bis der Wettstreit vorbei war.
    Schließlich war er aus Podujevo. Im bevorstehenden Kampf hatte er seine eigene Stadt zu unterstützen. Morgen würden er und Metzinger die Erfahrungsberichte ihrer Abenteuer austauschen, aber heute mußten sie sich so verhalten, als ob sie sich nicht kennen würden, durften zwischen sich nicht einmal ein Lächeln aufkommen lassen. Heute hatten sie absolute Parteigänger zu sein und sich nur um den Sieg ihrer eignen Stadt übers gegnerische Lager zu kümmern.
    Jetzt war, zur beiderseitigen Genugtuung von Metzinger und Vaslav, das erste Bein von Popolac aufgerichtet. Alle Sicherheitskontrollen waren peinlich genau eingehalten worden, und das Bein verließ den Platz, riesig fiel sein Schatten über die Vorderfront des Rathauses.
    Vaslav schlürfte seinen süßen, süßen Kaffee und gestattete sich ein kleines zufriedenes Grunzen. Sagenhaft, unbeschreiblich diese Tage, Tage voller Ruhm und voll knatternder Flaggen; und dieser Blick in die Höhe, daß es einem im Magen schwindlig

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