Das 2. Gesicht
Lichter.
„Entsetzlich“, sagte ich und erzählte, wie ich in der ersten Zeit fast jede Nacht die Security alarmiert hatte und auch Sandra dies bereits einmal geschafft hatte.
Sie nahmen die Haarbürste von Sandra mit, und was das bedeutete, wusste ich aus unzählig vielen amerikanischen Kriminalserien, in denen CSI-Experten aus den Haaren die DNA gewannen. Sie befürchteten also das Schlimmste. In dem Ankleidezimmer, das sich an das Gästezimmer anschloss, sahen die Polizisten, dass Sandra ganz offensichtlich nicht vorgehabt hatte, aus unserem Leben zu verschwinden. Ihr gesamter Kofferinhalt, zuzüglich der Errungenschaften aus den Miromar Outlets, war fein säuberlich aufgehängt und auch mehrere Paar Schuhe standen darunter. So sieht nicht der Kleiderschrank einer Frau aus, die die Absicht hatte, zu verschwinden.
Auf der Suche nach Sandra
Nachdem die Polizisten gegangen waren, blieb ich mit George allein im Haus. Ich verkrümelte mich in eine Sofaecke und erwartete irgendein Donnerwetter. George war sauer, das sah ich an seinen Augen. Aber er sagte nichts. Er machte mir keine Vorwürfe.
„Du musst doch total fertig sein, Julia“, sagte er und reichte mir einen Margarita.
Ich wollte keinen Margarita, ich wollte meine Freundin suchen. Aber das sagte ich nicht, sondern nippte an dem Glas, das er sorgfältig mit einem Salzrand versehen hatte.
„Wo kann sie denn nur sein?“, fragte ich. „Weißt du, wo der Makler wohnt?“
„Keine Ahnung, aber hier findest du jede Adresse im Internet. Brauchst nur den Namen einzugeben, jedes Haus, das der jemals gekauft hat, jeden müden Dollar, den er jemals zu wenig Steuern bezahlt hat, seine Verwandten, seine Nachbarn oder ob er schon mal jemanden sexuell belästigt hat oder ob jemand in der Nähe wohnt, der schon mal jemanden sexuell belästigt hat.“
„Was, im Ernst?“, fragte ich entsetzt. So was wäre in Deutschland unmöglich.
„Hier, versuch’ es selbst.“ George reichte mir das Tablet, das auf dem Couchtisch lag. „Gib Ferdinand Kuhn ein und für ein paar Dollar weißt du alles über ihn.“
Mit zitternden Fingern tippte ich den Namen auf einer Suchseite ein. Die Adresse gab es umsonst, der Rest kostete 39 Dollar im Monatsabo.
„Darf ich?“, fragte ich George.
George nannte mir auswendig seine Kreditkartennummer. Und dann bekam ich Informationen, nach denen ich noch nicht mal gefragt hatte.
„Liebe Güte, Big Brother is watching you“, entfuhr es mir. „Das kann ich nicht glauben!“ Da stand sogar, wer in der Umgebung des Hauses für ein Sexualdelikt angeklagt wurde. Und wie viel Wert das Haus hat, wie hoch die Hypothek ist, alles, was das Herz begehrt.
„Was steht eigentlich alles über dich drin?“, fragte ich.
„Schau doch nach“, sagte George.
„Soll ich wirklich?“
„Na klar sollst du wirklich. Nun mach schon, Engelchen.“
Ich machte es. Hatte George gesehen, wie meine Finger zitterten? Ich gab seinen Namen ein, die Stadt, den Staat und die Kreditkartennummer. Es dauerte eine Weile und dann war ich baff. Dort stand die Adresse, der Wert unseres Hauses, die Quadratmeter, die Anzahl der Bäder und Schlafzimmer, der Stockwerke und das Baujahr sowie unsere Telefonnummer. Es gab sogar offensichtlich eine halbe Meile vom Haus entfernt einen Menschen, der einer Sexualstraftat angeklagt war. Es gab unter „location history“ weitere Adressen, wo George offensichtlich vorher gewohnt hatte, und wem das Haus vorher gehört hatte. Ich fand meinen eigenen Namen als Ehefrau und die Namen unserer Nachbarn. Eine Pilotenlizenz. Wahnsinn. Keine Scheidung, kein Strandhaus. Keine Anzeigen. Amerika, das Land der unbegrenzten Transparenz. Aber kein Strandhaus. Wieso kein Strandhaus? Ich fragte ihn.
„Weil ich in Ruhe arbeiten will“, antwortete er lächelnd. „Es gibt Tricks, wie man dort nicht gelistet wird. Deshalb sind diese öffentlichen Register auch nicht das Papier wert, auf dem sie gedruckt sind. Man muss nur aufpassen, dass man nicht getrackt wird.“
„Und wie macht man das?“, fragte ich.
„Indem man zum Beispiel von jemand anderem ein Haus kaufen lässt“, erklärte er.
J.R., schoss es mir durch den Kopf. Ich würde ihn googeln, sobald George nicht mehr da wäre. Instantcheckmate.com. Wahnsinn.
„Ich habe Angst“, sagte ich.
„Ich habe auch Angst um Sandra“, sagte George. „Das ist nicht normal, klar, sie hätte sich bei dir gemeldet. Das Telefon im Auto auf dem Parkplatz der Mall hat mir endgültig einen
Weitere Kostenlose Bücher