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Das 2. Gesicht

Das 2. Gesicht

Titel: Das 2. Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nika Lubitsch
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drehen, denn er lag direkt darauf, rutschte wieder aus in seinem Blut, fiel über seinen noch warmen Körper. Mit zitternden Händen fingerte ich nach dem iPhone in seiner Brusttasche.
    „Sieh mal einer an, unsere Frau Osterman.“
    Ich ließ vor Schreck das iPhone fallen. In meiner Panik hatte ich nicht gehört, dass jemand ins Haus gekommen war: John Roberts. Oh Gott, was war ich froh, endlich nicht mehr alleine zu sein mit meinem toten Ehemann.
    „John, um Gottes willen, J.R.! Hilf mir bitte, bitte, ruf die Polizei. Ich weiß, du wirst es nicht glauben, George war ein Serienkiller. Er hat all die Morde in seinen Büchern wirklich begangen. Bitte, ruf die Polizei, ich habe ihn erschossen. Es war Notwehr. Und ich muss meine Freundin finden, Sandra. Bitte, hilf mir.“
    Er reichte mir die Hand, damit ich aufstehen konnte.
    „Schöne Schweinerei, die du hier veranstaltet hast“, meinte er.
    „J.R., bitte ruf die Polizei, ich habe ein Video gefunden, in dem er Joan zersägt hat, genau so wie in ‚Everglades‘. Er hat es wirklich getan“, stammelte ich.
    J.R. schaute mich an, als ob ich nicht ganz bei Trost sei. Wahrscheinlich sah ich auch aus wie eine Verrückte, von oben bis unten mit Blut verschmiert und total wirr im Kopf. Denn genau das war ich, verwirrt.
    „Na, so was, du hast die DVD gesehen?“
    „Ja, und dann in seinem Arbeitszimmer, komm, ich zeige es dir, er hat überall Kameras installiert, Kameras in irgendwelchen Kosmetikstudios und am schlimmsten, eine Kamera in meinem Schlafzimmer! John, er hat mich die ganze Zeit beobachtet, kannst du dir das vorstellen?“
    J.R. lächelte immer noch. Am liebsten hätte ich wieder geschrien. Was gab es da zu lächeln, es war Ernst, blutiger, tödlicher Ernst.
    „Hast ja ganze Arbeit geleistet, Mädel“, sagte er. „Und dann erschießt du deinen Mann in meinem Haus auch noch mit meiner Notfall-Waffe.“ Er machte ein Geräusch, was sich anhörte wie „tse, tse“.
    „Du kennst doch das Ende von ‚Everglades‘?“, fragte er immer noch lächelnd. „Oder soll ich es dir vorlesen?“
    Er bückte sich und hob das Buch auf. Routiniert schlug er den Schluss des Thrillers auf. John, mein toter Mann und das Haus begannen, sich um mich zu drehen. Draußen schrien die Möwen.

Nummer Zwölf
aus „Everglades – Das ewige Licht“ von George Osterman
    Nummer zwölf. Endlich. Die Vollendung seines Werkes, der Höhepunkt seines Schaffens. Nummer zwölf brauchte er nicht auszusuchen. Nummer zwölf würde selbst zu ihm kommen. Eigentlich war sie schon immer da gewesen, in seiner Fantasie. Nummer zwölf, sie war seine Erlösung. Sie war die Frau, die ihn von diesem Zwang befreien würde, die ihn läutern würde, sie war die Frau, die er lieben würde, für alle Zeit, in Ewigkeit, Amen.
    Nie wieder würde er töten müssen, nur noch dieses eine Mal, es würde ihm das Herz brechen, ja, natürlich würde es ihm das Herz brechen, denn Nummer zwölf war das Ende. Das Ende aller Sehnsüchte, die Erfüllung aller Träume, aber eben auch das Ende. Sein Ende. Er machte sich keine Illusionen, nichts würde nach Nummer zwölf so sein, wie je zuvor. Vorbei die prickelnde Vorfreude, vorbei die Jagd, vorbei das Spiel mit seinen Köpfen.
    Er würde es ihr erklären und sie würde es verstehen. Es würde sich Wehmut in sein Tun mischen. Ein letztes Mal die Motorsäge anschmeißen, ein letztes Mal diesen einen, endgültigen Schnitt machen. Er hatte sich vorgenommen, ihr ein besonderes Grab zu verschaffen. Eines, das er immer wieder aufsuchen konnte, um zu trauern. Um sein verdammtes, verlorenes, verrottetes Leben. Ja, er würde sie nicht verteilen, so wie die anderen. Er würde sie so bestatten, wie sie es verdiente: im Familiengrab. So würden sie zusammen sein, für immer und ewig.

Julia versteht
    Ich fixierte einen Punkt hinter J.R.s Kopf. Konzentriere dich, schien mir die Julia, die da oben auf einer Wolke saß, zuzurufen.
    „Du?“, fragte ich gedehnt.
    J.R. nickte.
    „George war also gar nicht der Mörder?“, stellte ich ruhig fest.
    J.R. grinste. „Du bist nicht sehr schnell im Kopf, oder?“
    Warum hatte ich nicht an das Ende gedacht? Warum hatte ich das alles für Fiktion gehalten? Ich ließ mich mit zitternden Knien in den nächsten Sessel fallen.
    „Heißt das, dass du all diese Frauen zersägt hast?“
    J.R. grinste süffisant.
    „Wusste George davon?“
    J.R. kratzte sich am Kopf. „Was weiß ich“, murmelte er.
    „Hast du die Morde vor oder nach den Büchern

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