Das 2. Gesicht
ist nicht die Frage. Soll ich helfen?“
„Wenn das nicht die Frage ist, dann weiß ich nicht weiter.“ Julia da oben flüsterte: Doch, du weißt es, denk nach!
„Die Frage ergibt sich aus dem Buch. Denk mal nach!“
Ich schloss die Augen und versuchte mich zu konzentrieren. Aber ich konnte immer nur denken: Wo zum Teufel ist Sandra? Bitte, bitte, lieber Gott, lass Sandra noch leben.
Langsam wurde ich wütend. Ich saß hier mit einem komplett durchgeknallten Serienmörder in seinem Wohnzimmer und irgendwo da draußen war meine beste Freundin, tot oder lebendig. Und dann wusste ich es. Es war, als ob es Klick gemacht hätte in meinem Kopf, als ob die Rädchen eingerastet wären.
„Das Zitat bezog sich gar nicht auf mich. Du meinst Sandra, stimmt’s? Aber warum hast du sie am Flughafen gesehen?“
„Julia-Mäuschen, jetzt tu doch nicht so, als ob du nicht meine kleine Monitorwand gesehen hättest. Ich wusste doch, dass du Besuch bekommen wolltest, und die Dame wollte ich mir nicht entgehen lassen. Diese kleine, dreckige Hure. Sie hatte nichts Besseres zu tun, als sich sofort an jeden Dahergelaufenen ranzumachen. Sogar an den Security-Mann. Ich musste sie einfach beseitigen.“
In meinem Kopf schrillte die Werksirene. War Sandra etwa tot? Nein, das war sie nicht. Ich kam einfach durcheinander. Konzentriere dich, Julia! Es gab nicht nur eine Mordserie. Es gab mehrere. Er mordete nach den Motiven von Georges Büchern. Aber es gab viele Bücher und viele verschiedene Motive und verschiedene Arten zu morden.
Aber er hatte eben aus „Dead End – Ohne Ausweg“ zitiert. Rasend schnell scannte ich vor meinem inneren Auge den Text. Wo war sie nur, diese Stelle? Und dann wusste ich es:
Er würde sie auspacken wie eine sündhaft teure Praline, sie sich einteilen, erst ihren Geschmack kosten, nur ein wenig dran lecken, dann ein winziges Stückchen abbeißen, es im Mund schmelzen lassen, ihr Innerstes freilegen, langsam, ganz langsam, bis ihr Körper keine Geheimnisse mehr vor ihm verbarg.
Er nahm sich also Zeit für die sogenannten Schlampen, oder das, was er dafür hielt, er quälte sie mit Kneifzangen und Teppichmessern, aber er brachte sie nicht gleich um. Mit den Huren spielte er.
Julia von der Wolke flüsterte mir zu: Er wird dich sowieso töten, aber jetzt will er reden. Lass ihn erzählen, was er mit Sandra gemacht hat, wo sie ist, lass ihn angeben mit seinen tollen Plänen!
„Ich verstehe“, sagte ich, so kühl wie möglich. Und dann schoss mir ein anderer Text durch den Kopf, der wiederum meine Halsschlagader zu vereisen schien. Er war aus einem anderen Buch von George, „Everglades – Das ewige Licht“:
Er würde es ihr erklären und sie würde es verstehen. Es würde sich Wehmut in sein Tun mischen. Ein letztes Mal die Motorsäge anschmeißen, ein letztes Mal diesen einen, endgültigen Schnitt machen. Er hatte sich vorgenommen, ihr ein besonders Grab zu verschaffen. Eines, das er immer wieder aufsuchen konnte, um zu trauern. Um sein verdammtes, verlorenes, verrottetes Leben. Ja, er würde sie nicht verteilen, so wie die anderen. Er würde sie so bestatten, wie sie es verdiente. Im Familiengrab. So würden sie zusammen sein, für immer und ewig.
Die Frage auf die Jeopardy-Antwort lautete: Wann werde ich sterben?
Zeit gewinnen, Julia, sagte ich mir und merkte, dass die Julia, die auf der Wolke saß, irgendwie in mich hineingekrochen war. Mein Leben war sowieso vorbei. Aber vorher musste ich Sandra retten.
„Eins möchte ich gern noch wissen“, sagte ich. „Wo ist die Strandhütte von George? Warum durfte ich nie dorthin?“
J.R. lachte. Es war ein ekelhaftes, ein dreckiges Lachen. „Das hat dich überfordert, nicht wahr, dieses blöde Strandhaus. Dabei war er sooo brav, unser kleiner George, hat jede Nacht geschuftet, damit sein Frauchen in Saus und Braus leben kann. Nur musste sie ja nichts von seiner kleinen Marotte mitkriegen. Er lief doch so gern in Frauenkleidern rum. Oh, ich war gespannt, wann er es dir sagen würde.
Damals, als ihr euch das erste Mal am Flughafen gesehen habt, das war, als ob zwischen euch ein Blitz eingeschlagen hat. Ich habe es körperlich gefühlt. Du warst genau die Frau, auf die George abfahren musste. Er konnte einfach nicht vor sich selbst zugeben, dass er eine Schwuchtel war. Wenn er sich schon nicht getraut hat, einen Kerl zu ficken, dann warst du genau die Richtige für ihn. Und nach einer gewissen Zeit, mal sehen, ich war mir sicher, dass er dir
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