Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das 4. Buch des Blutes - 4

Das 4. Buch des Blutes - 4

Titel: Das 4. Buch des Blutes - 4 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
Vom Netzwerk:
Treppenabsatz hörte er unten in der Diele ein Geräusch, ein Husten oder etwas Ähnliches. Spielte sie irgendein Spielchen mit ihm? Er machte kehrt und stieg hinunter, bewegte sich jetzt verstohlener. Fast am unteren Treppenende fiel sein Blick auf ein Stück Kordel, das auf einer der Stufen liegengeblieben war. Er hob es auf und stutzte kurz über den einzelnen hineingeknüpften Knoten, ehe das Geräusch neuerlich zu hören war. Diesmal macht er sich nicht vor, daß es Anelisa sei. Er hielt den Atem wartete auf ein weiteres Stichwort von irgendwo in der Diele. Als keines kam, schob er die Hand in den Stiefelschaft und zog sein Schnappmesser heraus, eine Waffe, die er seit dem zarten Alter von elf bei sich trug. Eine Halbstarken-Waffe, hatte ihm Anelisas Vater einreden wollen; aber jetzt, während er durch die Diele zum Wohnzimmer pirschte, dankte er dem Schutzpatron der Klingen, daß er den Rat des alten Schurken nicht befolgt hatte.
    Das Zimmer war düster. Der Abend hatte sich über das Haus gesenkt, machte die Fenster dicht. Red stand lange im Türrahmen und ließ seine Augen ängstlich durch den Raum wandern. Dann wieder das Geräusch; diesmal kein einzelner Laut, sondern eine ganze Serie. Die Quelle, wie ihm jetzt zu seiner Erleichterung klar wurde, war nicht menschlich.
    Höchstwahrscheinlich war es ein Hund, der bei einer Rauferei verwundet worden war. Auch kam der Laut nicht aus dem Zimmer vor ihm, sondern aus der daran angrenzenden Küche.
    Die Tatsache, daß der Eindringling lediglich ein Tier war, machte ihm neuer Mut, und er knipste das Licht an.
    Das Holterdiepolter der Ereignisse, das er damit in Gang setzte, vollzog sich in einer atemlosen Abfolge, die nicht mehr als ein Dutzend Sekunden in Anspruch nahm, doch durchlebte er jede einzelne bis ins winzigste Detail. In der ersten Sekunde, als das Licht anging, sah er, wie sich etwas über den Küchenboden bewegte; in der nächsten schritt er darauf zu, das Messer noch immer in der Hand. Die dritte beförderte das –
    durch Reds geplante Aggression in Alarmzustand versetzte –
    Tier aus seinem Versteck. Kampfbereit lief es ihm entgegen, ein Schemen glitzernden Fleisches. Seine plötzliche Nähe war überwältigend: seine Größe, die von seinem dampfenden Körper abstrahlende Hitze, sein riesenhaftes Maul, dem ein nach Verwesung stinkender Atem entströmte. Red brauchte die vierte und fünfte Sekunde, um dem ersten Ausfall des Bestienwesens auszuweichen, aber in der sechsten erwischte es ihn. Seine rohen Arme schnappten nach Reds Körper. Er hieb mit dem Messer um sich und versetzte dem Biest eine klaffende Wunde, aber es rückte ihm auf den Leib und packte ihn in einer tödlichen Umarmung. Mehr durch Zufall als mit Absicht tauchte das Schnappmesser in das Bestienfleisch, und flüssige Hitze spritzte Red ins Gesicht; er bemerkte es kaum.
    Seine letzten drei Sekunden waren angebrochen. Die Walte, glitschig vor Blut, rutschte ihm aus der Hand und blieb in dem Ungeheuer vergraben. Unbewaffnet versuchte er, sich aus der schmierigen Umklammerung herauszuwinden, aber ehe er sich in Sicherheit bringen konnte, war der große, unfertige Kopf über ihm – der Rachen ein Tunnel – und saugte einen vollen Atemzug aus seinen Lungen. Mehr Atem besaß Red nicht.
    Unter Sauerstoffentzug veranstaltete sein Hirn, zur Feier des unmittelbar bevorstehenden Verscheidens, ein prunkvolles Feuerwerk: Raketen, Leuchtkugeln, Funkenräder. Die Pyrotechnik war allzu kurz; zu bald schon war es finster.
    Im oberen Stockwerk lauschte Anelisa dem Geräuschechaos und versuchte, es zusammenzustückeln, aber es gelang ihr nicht. Was immer auch geschehen war, es hatte jedenfalls in Schweigen geendet. Red suchte nicht nach ihr. Doch das Tier auch nicht. Vielleicht, dachte sie, haben sie sich gegenseitig umgebracht. Die Einfachheit dieser Lösung gefiel ihr. Sie wartete in ihrem Zimmer, bis Hunger und Langeweile über das Gliederschottern die Oberhand gewannen, und ging dann nach unten. Red lag, wo der zweite Sprößling der Kordel ihn hatte fallenlassen, die Augen weit aufgerissen, um dem Feuerwerk zuzusehen. Die Bestie selber, ein im Verfall befindliches Etwas, kauerte in der anderen Ecke des Zimmers. Als sie es entdeckte, zog sich Anelisa von Reds Körper zur Tür zurück.
    Es versuchte erst gar nicht, sich auf sie zuzubewegen, sondern folgte ihr lediglich mit tiefliegenden Augen, der Atem rauh, die sparsamen Bewegungen schwerfällig.
    Ich werde meinen Vater suchen, beschloß sie und

Weitere Kostenlose Bücher