Das 4. Buch des Blutes - 4
Weg und raste mit perfekter Genauigkeit auf den Evangelisten zu. Er sah sie nicht kommen. Sie schlug in seinen Hals ein, und rasch kam Blut, das sein Hemd hinunterspritzte. Bucks Gestalt löste sich auf wie lauter Staub, und weg war er. Plötzlich war nichts im Zimmer sieben außer Virginia, ihrem sterbenden Mann und dem Geräusch des Regens.
Stirnrunzelnd sah Gyer Virginia an, dann langte er nach dem Türrahmen, um seine beträchtliche Körpermasse abzustützen.
Er brachte es nicht fertig, ihn zu erreichen, und stürzte rückwärts zur Tür hinaus wie eine umgekippte Statue; sein Gesicht wurde vom Regen überspült. Das Blut hörte jedoch nicht auf zu fließen. In lustigen, ruckweisen Güssen strömte es heraus; und es pulsierte immer noch, als Baker und sein Deputy draußen vor dem Zimmer aufkreuzten, die Schießeisen im Anschlag.
Jetzt wird mein Mann es nie erfahren, dachte sie: Das war der einzige Nachteil. Jetzt könnte man ihn nie mehr dazu bringen, seine Dummheit zuzugeben und seine Überheblichkeit zurückzunehmen. Nicht auf dieser Seite des Grabes jedenfalls.
Er war in Sicherheit, der verdammte Kerl, und sie stand allein da, mit einem rauchenden Schießeisen in der Hand und Gott weiß welchen Konsequenzen vor sich.
»Legen Sie das Schießeisen hin, und kommen Sie da raus!«
Die Stimme aus dem Hof hörte sich barsch und kompromißlos an.
Virginia reagierte nicht.
»Harn Sie verstanden da drin? Hier is’ Sheriff Baker. Der Platz ist umstellt, also komm’ Sie raus, oder Sie sind tot.«
Virginia saß auf dem Bett und wog die Alternativen ab.
Hinrichtung, wie in Sadies Fall, kam bei ihrer Tat nicht in Frage. Aber sie würde lange Zeit im Gefängnis sitzen, und Herrschaftsapparate hatte sie satt. Falls sie jetzt noch nicht verrückt war, würde die Einkerkerung sie an den Rand treiben, und darüber hinaus. Besser hier ein Ende machen, dachte sie.
Sie setzte sich die warme .38er unters Kinn, mit der Mündung schräg nach oben, um sicherzugehen, daß der Schuß ihr die Schädeldecke wegreißen würde.
»Ist das vernünftig?« erkundigte sich Sadie, als sich Virginias Finger spannte.
»Sie sperren mich ein«, antwortete sie. »Das steh’ ich einfach nicht durch.«
»Richtig«, sagte Sadie. »Sie stecken dich ’ne Weile hinter Gitter. Aber nicht sehr lange.«
»Machst du Witze? Ich hab’ grade kaltblütig meinen Mann erschossen.«
»’s war nicht deine Absicht«, sagte Sadie gescheit. »Du hast auf Buck gezielt.«
»Hab’ ich das?« fragte Virginia. »Ich weiß nicht recht.«
»Du kannst dich auf Geisteskrankheit berufen, so wie ich’s auch hätte tun sollen. Denk dir nur die unerhörteste Geschichte aus, die du zustande bringst, und dann bleib dabei!« Virginia schüttelte den Kopf; eine große Lügnerin war sie nie gewesen.
»Und wenn man dich freiläßt«, fuhr Sadie fort, »dann kennt dich alle Welt. Dafür lohnt sich’s doch zu leben, nicht?«
Daran hatte Virginia nicht gedacht. Die Andeutung eines Lächelns erhellte ihr Gesicht.
Draußen wiederholte Sheriff Baker die Aufforderung, die Waffe durch die Tür zu werfen und mit erhobenen Händen rauszukommen. »Sie haben zehn Sekunden, Lady«, sagte er,
»und ich meine zehn.«
»Ich kann die Erniedrigung nicht aushalten«, murmelte Virginia. »Ich kann’s nicht. «
Sadie zuckte mit den Achseln. »Schade«, sagte sie. »Der Regen verzieht sich. Der Mond scheint.«
»Der Mond? Wirklich?«
Baker hatte zu zählen angefangen.
»Du mußt dich entscheiden«, sagte Sadie. »Sie erschießen dich beim geringsten Anlaß. Und mit Freuden.«
Baker war jetzt bei acht. Virginia stand auf.
» Halt! « rief sie durch die Tür.
Baker hörte zu zählen auf. Virginia warf das Schießeisen hinaus. Es landete im Schlamm.
»Gut«, sagte Sadie, »so gefällst du mir.«
»Ich kann unmöglich allein gehen«, antwortete Virginia.
»Brauchst du auch nicht.«
Ein ansehnliches Publikum hatte sich auf dem Hof versammelt; Earl und Laura-May natürlich; Milton Cade, Dwayne und seine Tussi, Sheriff Baker und sein Deputy, eine Auswahl Motelgäste. Sie standen in respektvollem Schweigen da und starrten Virginia Gyer an. Bestürzung und ehrfürchtige Scheu mischten sich im Ausdruck ihrer Gesichter.
»Nehm’ Sie die Hände so hoch, daß ich sie sehn kann!« sagte Baker.
Virginia tat, wie geheißen.
»Schau!« sagte Sadie und deutete mit dem Finger.
Der Mond stand am Himmel, groß und weiß.
»Warum ham Sie’n umgebracht?« fragte Dwaynes Tussi.
»Der
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