Das 4. Buch des Blutes - 4
antwortete nicht. »Jesus!« rief er ihr lauthals nach, weil er plötzlich registrierte, was er gesehen hatte. »Wo hast du das gottverdammte Schießeisen her?«
Der Regen fiel sturzbachartig. Er peitschte auf den Boden, auf die letzten Blätter der Pappel, auf das Dach, auf den Schädel. Er plättete Laura-Mays Haar in Sekunden, pappte es ihr an Stirn und Hals.
»Earl?« schrie sie laut. »Wo bist du? Earl? « Sie begann, über das Grundstück zu rennen, rief gellend seinen Namen beim Laufen. Der Regen hatte den Staub in dunkelbraunen Schlamm verwandelt, der klatschend gegen ihre Schienbeine hinaufspritzte. Sie preschte zum anderen Gebäude hinüber.
Eine Anzahl Gäste, die Gyers Wortschwall aufgeweckt hatte, sahen Laura-May von ihren Fenstern aus zu. Mehrere Türen waren offen; ein einzelner Mann, der mit einem Bier in der Hand auf dem Laufgang stand, wollte dringend wissen, was los war. »Da rennen welche wie die Verrückten rum«, sagte er.
»Und dann diese ganze Krakeelerei. Wir sind hier abgestiegen, um ’n bißchen ungestört zu sein, du lieber Heiland.« Ein Mädchen – gute zwanzig Jahre jünger als er – tauchte aus dem Zimmer hinter dem Biertrinker auf. »Sie hat ’n Schießeisen, Dwayne«, sagte sie. »Siehst du das?«
»Wo sind sie hin?« fragte Laura-May den Biertrinker.
»Wer?« antwortete Dwayne.
» Die Verrückten! « erwiderte Laura-May und übertönte einen weiteren Donnerschlag.
»Sie sind hinten um die Rezeption rumgegangen«, sagte Dwayne und hatte die Augen mehr auf dem Schießeisen als auf Laura-May. »Hier sind sie nicht. Wirklich nicht.«
Laura-May machte kehrt und lief Richtung Rezeptionsgebäude zurück. Der Regen und die Blitze blendeten sie, und sie tat sich schwer, in dem Sumpf unter ihren Füßen das Gleichgewicht zu halten.
»Earl!« rief sie, »bist du da?«
Sadie hielt mit ihr Schritt. Die Cade-Frau hatte Courage, ohne jeden Zweifel, aber in ihrer Stimme war ein Anklang von Hysterie, den Sadie nicht sonderlich mochte. Diese Art Geschäft – Mord – erforderte innere Distanz. Der Trick bestand darin, es fast beiläufig zu tun, etwa so, wie man das Radio einschaltet oder eine Mücke zerklatscht. Panik würde das Ergebnis nur beeinträchtigen; Leidenschaft desgleichen. Ja-ha, als sie diese .38er hochgehoben und auf Buck gerichtet hatte, war keinerlei Wut im Spiel gewesen, die ihre Treffgenauigkeit hätte ruinieren können, nicht die Spur davon. Letzten Endes war das der Grund, weshalb sie sie auf den elektrischen Stuhl geschickt hatten. Nicht wegen der Tat. Sondern wegen der Perfektion der Tat.
Laura-May war nicht so cool. Ihr Atem ging jetzt stoßweise, und aus der Art, wie sie Earls Namen beim Laufen schluchzte, ließ sich unschwer folgern, daß sie kurz vor dem Zusammenbruch war. Sie umrundete die Rückseite des Rezeptionsgebäudes, wo die Neonreklame des Motels einen kalten Schein auf das unbebaute Gelände warf. Als sie diesmal nach Earl rief, wurde ihr mit einem Schrei geantwortet. Sie blieb stehen und spähte durch den Regenschleier. Es war Earls Stimme, wie sie gehofft hatte, aber sein Gebrüll galt nicht ihr.
»Dreckskerl!« schrie er. »Du bist nicht bei Sinnen. Laß mich gehn!«
Jetzt konnte sie in mittlerer Entfernung zwei Gestalten wahrnehmen. Earl, den dickwanstigen Torso von Schlammstreifen und -spritzern bedeckt, lag auf den Knien, inmitten des Seifenkrauts und Gestrüpps. Gyer stand über ihn gebeugt, hatte seine Hände auf Earls Kopf und drückte diesen zur Erde nieder.
»Gib dein Verbrechen zu, Sünder!«
»Verdammt noch mal, nein! «
»Du wolltest meinen Kreuzzug ruinieren. Gib’s zu! Gib’s zu!«
»Fahr zur Hölle!«
»Gesteh deine Komplizenschaft, oder, so wahr mir Gott helfe, ich brech’ dir jeden einzelnen Knochen im Leib!«
Earl wehrte sich verzweifelt, um von Gyer freizukommen, aber der Evangelist erwies sich mühelos als der Stärkere.
»Bete!« sagte er und drückte Earls Gesicht in den Schlamm.
»Bete!«
»Fick dich doch selber!« brüllte Earl als Erwiderung.
Gyer zerrte Earls Kopf an den Haaren hoch, die Hand erhoben, um dem emporgewandten Gesicht einen Hieb zu versetzen. Aber bevor er zuschlagen konnte, mischte sich Laura-May in den Kampf, indem sie drei, vier Schritte durch den Dreck auf sie zu machte, die .38er in ihren bebenden Händen.
»Gehn Sie weg von ihm!« forderte sie Gyer auf.
Sadie nahm gelassen zur Kenntnis, daß es mit dem Zielen bei dieser Frau nicht zum besten stand. Selbst bei klarer Witterung war sie
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