Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das 5. Buch des Blutes - 5

Das 5. Buch des Blutes - 5

Titel: Das 5. Buch des Blutes - 5 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
Vom Netzwerk:
der Wand hinunter und ließ sich mitten auf den Gang plumpsen. Seine regengetränkten Kleider klebten ihm am Leib und um den Hals; er fror und hatte gleichzeitig das Gefühl, in ihnen zu ersticken. Er zerrte am Knoten seiner Krawatte, knöpfte sich dann Weste und Hemd auf. Die Luft des Labyrinths war warm auf seiner Haut. Ihre Berührung war angenehm.
    Er schloß die Augen und unternahm den angestrengten Versuch, sich aus diesem Schmerzzustand herauszuhypnotisieren.
    Was war Empfinden anderes als ein Gaukelspiel der Nervenenden? Es gab Techniken, mit denen man den Geist aus dem Leib hinausverlagern und Qualen hinter sich lassen konnte.
    Aber kaum hatten sich seine Lider geschlossen, als er irgendwo ganz in der Nähe gedämpfte Laute hörte. Schritte; den leisen Singsang von Stimmen. Das waren nicht Garvey und seine Genossen. Die Stimmen waren weiblich. Jerry hob seinen bleiernen Kopf und öffnete die Augen. Entweder hatte er sich in den wenigen meditativen Augenblicken an die Dunkelheit ge-wöhnt, oder Lichtschein war in den Gang eingesickert; sicher letzteres.
    Er rappelte sich hoch. Seine Jacke war reiner Ballast, und er streifte sie ab, ließ sie liegen, wo er gehockt hatte. Dann ging er auf das Licht zu. Die Hitze schien innerhalb der letzten paar Minuten beträchtlich gestiegen zu sein. Er bekam davon leichte Halluzinationen. Die Wände schienen die Vertikalität aufzugeben, die Luft ihre Transparenz gegen ein schimmerndes Nordlicht eingetauscht zu haben.
    Er bog um die Ecke. Das Licht wurde heller. Dann noch eine Ecke, und er wurde in einen kleinen gekachelten Raum befördert, dessen Hitze ihm den Atem verschlug. Er schnappte
    nach Luft wie ein gestrandeter Fisch und spähte durch die Kammer - wobei sich die Sicht mit jedem Pulsschlag stärker trübte - zur Tür auf der anderen Seite. Das durch sie fallende gelbliche Licht war noch heller, aber er brachte einfach nicht den Willen auf, ihm auch nur einen Meter weiter zu folgen; die Hitze hier hatte ihn völlig erledigt. Da er spürte, daß er drauf und dran war, das Bewußtsein zu verlieren, stützte er sich mit einer Hand, aber seine Handfläche glitt an den schlüpfrigen Kacheln ab, und er stürzte, landete voll auf der Hüfte. Er konnte nicht verhindern, daß ihm ein Schrei entfuhr.
    Sein Elend hinausstöhnend, zog er die Beine eng an den Körper an und blieb liegen, wo er hingefallen war. Falls Garvey seinen Aufschrei gehört hatte und ihm seine Stellvertreter auf den Hals hetzte, dann bitte schön. Ihm war das längst egal.
    Vom anderen Ende des Raumes her drang das Geräusch einer Bewegung zu ihm. Er hob den Kopf zwei, drei Zentimeter vom Boden hoch und öffnete einen Spaltbreit die Lider. Ein nacktes Mädchen war in der Türöffnung gegenüber aufgetaucht; zumindest meldeten ihm das seine taumelnden Sinne. Ihre Haut glänzte wie eingeölt; da und dort, auf ihren Brüsten und Schenkeln, waren schmierige Flecken von - ja:
    möglicherweise von altem Blut. Aber nicht ihrem Blut. Ihr leuchtender Leib wurde von keinerlei Wunde verunstaltet.
    Die junge Frau lachte ihn aus; ein leichtes, unbeschwertes Lachen, durch das er sich albern vorkam. Er war jedoch hingerissen vom Wohlklang dieses Gelächters und strengte sich an, sie deutlicher zu sehen. Sie ging jetzt durch den Raum auf ihn zu, noch immer lachend; und jetzt sah er, daß hinter ihr noch andere waren. Dies waren die Frauen, von denen Garvey gefaselt hatte; dies die Falle, die aufgestellt zu haben er Jerry beschuldigt hatte.
    »Wer sind Sie?« murmelte er, während sich die junge Frau
    ihm näherte. Ihr Lachen verebbte, als sie zu seinen schmerzverzerrten Zügen hinabblickte.
    Er versuchte, sich aufzusetzen, aber seine Arme waren fühllos, und er glitt wieder aus, auf die Kacheln zurück. Die Frau hatte seine Frage nicht beantwortet, und ebensowenig unternahm sie irgend etwas, ihm zu helfen. Sie starrte einfach zu ihm hinunter, wie etwa ein Fußgänger einen Betrunkenen im Rinnstein anstarren mag, mit undefinierbarem Gesichtsausdruck. Während er zu ihr aufblickte, spürte Jerry, wie ihm die ohnehin zarte Kontrolle über sein Bewußtsein entglitt. Die Hitze, der Schmerz und jetzt dieser plötzliche Ausbruch von Schönheit waren zuviel für ihn. Die weiter entfernt stehenden Frauen lösten sich in Dunkelheit auf, der ganze Raum faltete sich zusammen wie eine Zauberkiste, bis das wunderbare Geschöpf vor ihm seine Aufmerksamkeit total in Anspruch nahm. Und jetzt, hinter dem beharrlichen Schweigen der

Weitere Kostenlose Bücher