Das 5. Gebot (German Edition)
Er fand sie in seinem Postfach. Das große, braune Kuvert trug keinen Absender. Das brauchte es auch nicht. Er wusste auch so, dass der Brief von Krzysztof kam. Poststempel Frankfurt/Oder. Niemand sonst kannte dieses Postfach.
„Nix Mail, nix Computer, nix Spuren“, hatte Krzysztof gesagt. „Sie Postfach haben.“
Der Fotograf hätte sein Geld jederzeit in einem ordentlichen Job bei der Presse verdienen können, so scharf waren die Fotos, so gut getroffen das Model. Es gab keinen Zweifel, sie war es. Auf der Fotorückseite stand mit Schreibmaschine geschrieben:
Victoria McIntosh
37, geboren in Branksome/Poole, Great Britain, als Tochter von Fiona Pratchett
Berliner Adresse: 14163 Berlin, Gilgestraße 27
So also war das. Victoria McIntosh. Tochter von Fiona Pratchett. Vielleicht konnte er zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Er musste nachdenken. Dringend. Krzysztofs Leute waren spezialisiert darauf, es wie einen Unfall oder Zufall aussehen zu lassen. Victoria McIntosh durfte auf keinen Fall in Berlin etwas zustoßen. Da würde die Berliner Polizei sofort einen Zusammenhang herstellen, so zufällig kann ein Unfall oder Überfall gar nicht aussehen. Das Fräulein musste nach England gelotst werden. Natürlich. Das war die Idee. Zwei Fliegen mit einer Klappe. Bevor die Fliege anfängt zu summen.
11. Zehlendorf
„Soll ich uns noch eine Flasche aufmachen?“, fragte George, während er die letzten Tropfen des Grauburgunders in Vickys Glas einschenkte. Sie genossen den warmen Abend auf ihrer Terrasse, die Victoria in der letzten Woche mit Margeriten, Oleander und Lavendel bepflanzt hatte. Vicky lächelte ihn amüsiert an. Sie hatte an diesem Freitag nach Lisas Anleitung deutsch gekocht, und man sah ihm an, dass er mit dem Ergebnis äußerst zufrieden war.
„Schließlich müssen wir die ersten Königsberger Klopse deines Lebens gebührend feiern“, sagte George.
Vicky streckte sich in ihrem Terrassensessel aus. „Denk bloß nicht, dass Kochen bei mir jetzt zur Gewohnheit wird.“ Der schwere Duft des Scheinjasmins und der blühenden Linden im Garten hüllte sie ein wie eine warme Decke.
„Das nächste Mal kannst du noch mehr Kapern reinmachen. Ganz viele Kapern!“
„Guck mal“, rief Vicky, „eine Fledermaus! Und da, noch eine!“
„Woher weißt du, dass das Fledermäuse sind?“, fragte George.
„Das hört man. Die klappern beim Fliegen. Außerdem schlafen die meisten Vögel jetzt.“
„Ich denke, Nachtigallen singen nachts.“
„Hast du das schon mal gehört oder weißt du das von Shakespeare?“
„ Es ist nicht die Nachtigall, es ist die Lerche . Ich hole uns noch ein Fläschchen aus dem Kühlschrank. Wer nicht schwanger ist, darf saufen!“
Als er den Kühlschrank öffnete, klingelte das Telefon. George schaute auf die Küchenuhr, die über der Tür hing. Zwanzig vor elf abends – wer mochte das sein?
Er nahm ab. Die Stimme war kaum zu verstehen, so sehr überschlug sie sich. Die Frau wollte Vicky sprechen, es sei etwas passiert. George legte den Flaschenöffner beiseite und ging mit dem Telefon zur Terrassentür. „Vicky, kommst du mal bitte?“
„Gib her, ich bin zu faul zum Aufstehen, wer ist es denn?“, rief Vicky, die sich aber sofort erhob, als sie sah, dass George den Kopf schüttelte.
Er drückte Vicky in einen Korbsessel und reichte ihr erst danach das Telefon. Es war etwas Furchtbares passiert, so viel stand fest. George blieb hinter seiner Frau stehen, die sich kurz mit ihrem Namen gemeldet hatte und nun ins Telefon lauschte.
„Oh Gott, wie geht es ihr?“, hörte George sie sagen. „In welchem Krankenhaus?“
Sie schwieg einen Moment.
„Bitte beruhigen Sie sich doch erst mal, Frau Dzembritzki. Und die Polizei, kann ich mit der Polizei sprechen?“
George holte einen Block und einen Kuli.
„Wann sind Sie gerufen worden?“ Vicky hatte jetzt offensichtlich einen Polizisten am Telefon. Sie stellte ihre Fragen so präzise, als befände sie sich in einem Gerichtssaal.
„Wie lange, schätzen Sie, war der Überfall her, nachdem meine Mutter gefunden wurde?“ Vicky kritzelte die Antwort auf den Block.
„War sie ansprechbar, als Sie gekommen sind, konnte sie Ihnen Auskünfte geben?“
„Haben Sie die Telefonnummer des Krankenhauses?“ Der Polizist schien suchen zu müssen, denn es dauerte eine Weile, bis Vicky die Zahlenreihe aufschreiben konnte. George machte sich daran, einen Kaffee zu kochen.
„Danke für Ihre Hilfe, ich werde auch meinen Onkel
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