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Das 5. Gebot (German Edition)

Das 5. Gebot (German Edition)

Titel: Das 5. Gebot (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nika Lubitsch
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Sachen und fand ihre schwarze Stola, die sie zur Beerdigung ihrer Mutter getragen hatte. Das war die Idee. Eine Muslimin würde weder hier und schon gar nicht in London auffallen, Kopftuch gehörte einfach ins Straßenbild. Wie oft hatte sie gedacht, wie einfach die muslimischen Frauen es in mancher Beziehung doch hatten. Die brauchten sich keine Gedanken über ihre Frisur zu machen, bevor sie das Haus verließen. Das Kopftuch würde den Turban verdecken, und wenn sie es so band, wie sie es bei einer Nil-Kreuzfahrt gelernt hatte, würde es sogar Mund und geschwollene Nase verdecken. Nun gut, das blaue Auge war nicht ganz so attraktiv, aber was mit ihrem Auge passiert war, konnte sie getrost der christlichen Fantasie überlassen.
    Und jetzt? Mitten in der Nacht das Haus zu verlassen, schien keine gute Idee. Derjenige, der sie hier eben besucht hatte, würde vielleicht das Krankenhaus beobachten, und eine Frau, die mitten in der Nacht aus dem Haupteingang kam, fiele auf wie eine funkelnde Discokugel. Andererseits wollte sie unbedingt sofort das Zimmer verlassen, sie fühlte sich hier nicht mehr sicher. Was, wenn er zurückkommen würde, um zu kontrollieren, ob sein Werk von Erfolg gekrönt war? Was, wenn eine Schwester kommen und sehen würde, dass sie die Kanüle rausgezogen hatte? Was, wenn sie einfach einschlafen würde? Aber wie sollte sie ungesehen aus dem Krankenhaus kommen? Natürlich mit dem Personal. Als Tochter einer Krankenschwester lag dieser Gedanke nah. Unter den Putzfrauen würde sie mit dem Kopftuch nicht auffallen. Und der Personaleingang würde bestimmt nicht überwacht werden. Sie musste also bis zum frühen Morgen irgendwo im Krankenhaus bleiben. Die Besuchertoilette fiel ihr ein. Da konnte sie sich bestimmt verstecken. Würde es ihr gelingen, einige Stunden in einer verschlossenen Toilettenkabine auszuhalten? Klaustrophobie oder einfach nur Probleme, hier ging es um ihr Leben. Sie würde es schaffen, da war sie sich ganz sicher.
    Vielleicht konnte sie den Personalausgang finden und mit der Nachtschicht zusammen das Haus verlassen. Aber nicht mit einer großen Reisetasche, sagte sie sich. Sie stellte die Tasche aufs Bett und fand eine Plastiktüte darin, in die Celia Schuhe eingewickelt hatte. Sie stopfte das, was sie am dringendsten brauchte, in die Tüte. Die zerschlissene Jacke, die sie beim Unfall getragen hatte, fiel vom Bügel. Mühsam bückte sich Vicky und hob das blutbefleckte Stück auf. Sie hatten es ihr ausgezogen und in den Schrank gehängt, als sie eingeliefert worden war. Ihr fielen ein paar Fotos und der Pass ihrer Mutter, die sie am Mittag vor Schreck in die Jackentasche gestopft hatte, entgegen. Vicky klaubte Fotos und Pass vom Boden und verstaute sie in der Plastiktüte. Zum Schluss band sie sich ihre Uhr um den weniger schmerzenden Arm. Erstaunlicherweise war diese bei dem Unfall intakt geblieben. Es war drei Uhr. Wann ist hier eigentlich Schichtwechsel?, fragte sie sich. Auf jeden Fall musste sie erst mal raus aus diesem Zimmer. Sie öffnete die Tür, warf einen Blick in den Flur und stellte erleichtert fest, dass er leer war. Aus dem Schwesternzimmer hörte man gedämpftes Lachen. Aber dort musste sie gar nicht vorbei, um in den Treppenflur zu gelangen. Bestens.
    Victoria huschte durch den Flur und fand die Tür zum Treppenhaus. In der wievielten Etage war sie? Auf jeden Fall musste sie nach unten, zum Ausgang. Langsam, Schritt für Schritt, zog sie sich am Treppengeländer hinunter, jede noch so kleine Erschütterung schmerzte in den Rippen, bei jedem Schritt vibrierte ihr gebrochenes Nasenbein, und ihr Arm tat gewaltig weh. Vicky biss die Zähne zusammen. Das Treppenhaus war nur notdürftig beleuchtet und jetzt, mitten in der Nacht, so still wie ein Dorffriedhof. Die unterste Etage ist wahrscheinlich die Pathologie, dachte Vicky und schauderte. Dann sah sie, dass über der Eingangstür zum Krankenhausflur jeweils die Nummer des Stockwerks stand. Sie war bereits in der ersten Etage. Na prima, eine noch, und dann musste sie eine Besuchertoilette finden.
    Vicky lehnte sich gegen die Wand, um die aufkeimende Übelkeit herunterzuschlucken. Die hellgrün gestrichenen Wände schienen sich um sie zu drehen. Vicky versuchte, ruhig zu atmen, sie wollte sich auf keinen Fall auf die Treppe setzen, da sie nicht wusste, ob sie aus eigener Kraft wieder aufstehen konnte. Also blieb sie an der Wand gelehnt. Atmen, ganz ruhig, einundzwanzig, zweiundzwanzig, dreiundzwanzig. Langsam kamen die

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