Das 5-Minuten-Grauen
jetzt erst war ihr aufgefallen, daß John Sinclair fehlte.
Warum…
Unsicher blickte sie sich um, aber er kam nicht nach. Die Frage stand auf ihrem Gesicht zu lesen, sie brauchte sie nicht mehr zu stellen, weil Flora das Thema anschnitt.
»Suchst du deinen Freund?«
»Ja.«
»Er blieb im Keller!«
Rita schoß hoch. Ihr Gesicht bekam in Sekundenschnelle eine dunkle Röte. »Das glaube ich nicht!«
»Doch, Schätzchen, er blieb im Keller.«
»Was macht er dort?«
Flora funkelte sie an. »Vielleicht sucht er dort die Leichen, die so stinken.«
Dieser Satz traf Rita hart. Plötzlich stand wieder alles vor ihren Augen. Das Zimmer, der Geruch, die vier Frauen, und sie brauchte nur in deren Gesichter zu schauen, um zu wissen, daß sie einen teuflischen Plan verfolgten.
»War er freiwillig im…?«
»Nicht ganz«, erklärte Erica, der Vamp. »Wir haben etwas nachgeholfen, wenn du verstehst.«
»Wie denn?«
»Mit einem Holzscheit, Süße. Ich habe ihm damit auf dem Kopf geschlagen. Jetzt liegt er unten, so allein, so einsam…« Erica kicherte.
»Aber er wird Gesellschaft bekommen.«
»Mich?« rief Rita.
»Genau, mein Kind. Nicht sofort, sondern später. Du wirst durch unser Stundenglas rutschen!« erklärte Flora, und ihre Freundinnen nickten dazu wie Puppen.
Stundenglas rutschen!
Rita Wilson verstand die Welt nicht mehr. Sie begriff überhaupt nichts. Ihr war nur klar, daß sie dieses verdammte Haus so schnell wie möglich verlassen mußte.
»Das Fünf-Minuten-Grauen«, flüsterte Georgette. »Es hat noch niemanden verschont.«
»Was meinen Sie denn damit?«
»Das zeigen wir dir!« erklärte Clara. Sie nickte dabei. Ihre Augen sahen aus wie gefroren.
Rita atmete schnell und heftig. Noch stand der Tisch zwischen ihr und den Frauen. Wenn sie sich beeilte, konnte sie die Tür erreichen und fliehen. Dann würde sie Hilfe holen, um John Sinclair aus seiner Lage zu befreien.
Sie riß sich zusammen. Mit keiner Geste gab sie ihren Plan zu verstehen. »Was haben wir Ihnen denn getan?« erkundigte sie sich mit weinerlicher Stimme.
»Nichts«, sagte Clara.
»Ihr seid nur zur richtigen Zeit gekommen.« Erica grinste.
»Darauf freut sich die Hölle«, meinte Georgette.
»Denn der Teufel hat uns zu seinen Dienerinnen gemacht!« gab auch Flora ihren Senf dazu.
Viel konnte Rita Wilson mit diesen Antworten nicht anfangen. Aber sie merkte, daß sich etwas verändert hatte. Es war kälter in der Halle geworden. Ein Ring aus Eis schien sich um ihre Brust legen zu wollen, und ihr fiel das Atmen schwer.
Wie sollte sie sich verhalten?
»Das ist doch alles nur Spaß, was Sie mir da gesagt haben! Sie wollen mir nur angst machen.«
Flora schüttelte den Kopf. »Es ist bestimmt kein Spaß, das kannst du mir glauben.«
»Dann wollt ihr mich töten?«
»Töten lassen — das Fünf-Minuten-Grauen, du verstehst?«
»Wie Elena Parker?« Jetzt war es heraus. Rita hatte es nicht sagen wollen, nur konnte sie ihre Worte nicht zurücknehmen und hätte sich am liebsten die Zunge abgebissen.
Wie ein Vogel schob Flora ihren Kopf vor. »Was hast du gesagt, Kindchen? Welcher Name war das?«
»Nichts, gar nichts. Sorry, ich habe einfach nur…«
»Elena Parker?« fragte Erica.
»Du kennst sie, wie?« schnappte Clara.
»Nein, ich…«
»Hast du von ihr gehört?«
»Ach verdammt, hören Sie doch auf! Es war ein Versehen. Ich weiß nichts. Ich will…«
Dann handelte Rita. Sie schleuderte den Weibsbildern sogar noch den Tisch entgegen, die fluchend zur Seite sprangen, es aber nicht richtig schafften.
Sie fluchten und schrien hinter Rita her, was diese nicht störte, denn sie hetzte mit riesigen Schritten auf die Tür zu, um den Weibern zu entwischen.
Hinter sich hörte sie trampelnde Schritte, aber die Frauen schafften es nicht, sie vor dem Tisch zu erreichen. Ihr Training machte sich jetzt wieder einmal bezahlt.
Sie prallte gegen die Tür, weil sie nicht richtig abgebremst hatte, hämmerte die Klinke nach unten — und schrie vor Wut auf, weil die Ausgangstür verschlossen war.
Abgesperrt! Es schoß in ihrem Kopf hoch. Die alten Hexen hatten ihr eine Falle gestellt. Und sie waren da!
Rita Wilson hatte sich mit dem Rücken gegen das Holz der Tür gepreßt. Sie war außer Atem, das Blut schoß in ihren Kopf und verzerrte das Bild der vier Frauen, die sich ihr in einer Reihe näherten — mit Gesichtern, die Bände sprachen.
Kein Pardon für diese Frau!
Rita stand allein, die anderen waren in einer vierfachen Übermacht.
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