DAS 5. OPFER
Sids Hand ab und sah zurück zur Tür, als würde er darüber nachdenken, zu flüchten. In seinen Augen stand Wut. Dann blickte er wieder Tara an und schien sich zu beruhigen, beschloss fürs Erste an Ort und Stelle zu bleiben.
Das Reuben’s war etwa halb so groß wie das Runway 36, und, wie Sid erklärte, war die große Attraktion nicht die Atmosphäre, sondern das Essen. Das Reuben’s hatte weder einen Billardtisch, noch eine Jukebox oder Neon-Bierschilder. Die Wände waren mit billiger, nachgemachter Holztäfelung bedeckt, an der Fotos, Zeitungsausschnitte und Postkarten befestigt waren. Es gab eine Bar mit abgenutzten Barhockern und ein Dutzend Holztische mit Stühlen, die nicht zusammenpassten. In der Ecke, neben dem Korridor, der zu den Toiletten führte, stand ein Pac-Man-Flipper. Lebhafte Akkordeonmusik drang aus der Küche, zusammen mit wunderbaren, würzigen Gerüchen. Eine Kreidetafel hinter der Bar führte Getränke, die im Angebot waren, und eine einfache Speisekarte auf: Gumbo, Jambalaya, rote Bohnen mit Reis und einen Cajun-Burger. Darunter hatte jemand in kleinen Buchstaben ergänzt: SAGE DIE ZUKUNFT VORAUS, 5$; FRAGEN SIE AN DER BAR .
»Wie geht es deinem Bein?«, flüsterte Tara.
Reggie zuckte die Achseln.
»Ich habe die Innenseite meines Arms bearbeitet, kurz bevor Sid mich abgeholt hat«, hauchte Tara. »Ich werde es dir später zeigen.« Reggie ließ Taras Hand los.
Sid nickte dem Barkeeper zu, einem großen Mann mit hellbrauner Haut und hellen Augen, und ging zu einem Tisch in der Ecke. Als sie an den Tisch kamen, setzte sich Tara neben ihn. Sie trug einen schwarzen, langärmligen Turnanzug und Strumpfhosen zu Jeans, die aus mehr Löchern als Stoff bestanden. Charlie hatte sein Sticky-Fingers- T-Shirt an, mit einer Levis-Jacke darüber.
Reggie überblickte den Raum. Der große Andrang zum Abendessen war noch nicht eingetroffen. Ein Paar aß an einem Tisch in der Nähe der Tür, sprach zwischendurch mit gedämpften Stimmen miteinander. Zwei Leute saßen an den entgegengesetzten Enden der Bar: eine alte Frau in einem fuchsiafarbenen Mantel mit einem Pudel auf ihrem Schoß und ein massiger, kahlköpfiger Mann, der einen schwarzen Anzug aus Vinyl trug, der von einem Vinyl-Trenchcoat komplettiert wurde. Reggie konnte sehen, dass der Kerl, der rot im Gesicht war, furchtbar schwitzte. Die Oberseite seines Kopfes glänzte. Er trommelte mit seinen Fingern auf die Bar. An jedem seiner Finger steckte mindestens ein Ring.
»Zieh dir mal den Vinyl-Mann da drüben rein«, flüsterte Charlie.
Tara rollte mit den Augen. »Jedem das Seine«, sagte sie und zog eine Packung Zigaretten aus ihrer verlotterten Handtasche. Sid zündete ihre Zigarette für sie an. Er hatte sich frisch gemacht, rasiert, sein Haar mit Mousse in Form gebracht und eine schwarze Jeans und einen schwarzen Blazer zu einem T-Shirt von Zig Zag Rolling Papers angezogen.
Der Mann, der hinter der Bar gestanden hatte, kam zu ihrem Tisch herüber.
»Was kann ich heute Abend für euch tun, Leute?« Reggie konnte seinen Akzent nicht einordnen. Es war ein singender Tonfall. Musikalisch. Seine Haut war glatt und hatte die Farbe von Mokka, seine Augen waren von einem überraschend hellen Blau, das Reggie an Aquamarin erinnerte. Der Barkeeper trug ein Lederband um seinen Hals, an dessen Ende etwas festgebunden war, das aussah wie ein Hühnerfuß. Reggie konnte den Blick nicht von dem Hühnerfuß wenden, dessen reptilienartige Zehen trocken und gekrümmt waren.
»Ein Bud und einen Cajun-Burger, leicht angebraten«, sagte Sid.
»Und für die Dame?«, fragte er und nickte in Taras Richtung.
Tara lächelte, leckte ihre Lippen. »Ich möchte einen Long Island Eistee, bitte.«
Der Barkeeper lachte. »Du erwartest, dass ich dir glaube, dass du einundzwanzig bist?«
»Ich sehe jünger aus, als ich bin«, sagte Tara.
Der Mann starrte sie an, besah sich dann den Rest von ihnen. »Wie wäre es mit einem Krug Sodawasser?«
»Eine Cola, bitte«, sagte Sid. »Und ich hätte auch gerne einen Cajun-Burger.«
»Ich werde das Gumbo nehmen«, sagte Tara, lehnte sich in ihrem Stuhl zurück und spielte mit einer Haarsträhne.
»Das ist eine gute Wahl, Miss.« Der Mann lächelte. »Das ist die Spezialität des Hauses.«
»Und für dich, Miss?«, fragte er und sah Reggie an.
»Ich bin nicht wirklich…«, begann Reggie.
»Sie nimmt das Gumbo«, unterbrach Tara.
Der Barkeeper drehte sich um und ging zurück hinter die Bar und durch die Schwingtür in die
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