DAS 5. OPFER
Küche.
Reggie kehrte dazu zurück, die Bar zu beobachten, als würde sie darauf warten, dass die alte Frau oder der Vinyl-Mann etwas Ungewöhnliches taten, das sie nicht verpassen wollte. Einen geheimen Blick wechselten, ein paar Worte, einen Kuss vielleicht. Man konnte nie wissen, was passieren würde.
»Also, was denkt ihr?«, fragte Charlie mit hauchiger,heller Stimme. »Ist dieser Typ Reuben? Sollten wir ihn nach Vera fragen?«
Vera. Die New York Vera. Die Aphrodite Cold Cream, Ich-werde-mal-ein-Star Vera.
Vera, die Hure.
»Ich bin ziemlich sicher, dass das Reuben ist«, sagte Sid. »Ich schätze, seine Mom ist diejenige, die hauptsächlich kocht. Sie wuchs in Louisiana auf. Draußen im Bayou oder so was. Man sagt, dass sie Voodoo praktiziert, ihr wisst schon, mit Puppen und toten Hühnern und solchen Sachen. Ist euch der Fuß um Reubens Hals aufgefallen? Ziemlich kaputt, oder?«
»Wie gesagt, jedem das Seine«, sagte Tara. »Willst du eine Zigarette, Reggie?« Reggie schüttelte den Kopf.
Sid griff nach der Packung und zündete sich eine an. »Du rauchst wie ein Filmstar«, sagte Sid zu Tara.
»Danke, mein Schatz«, sagte Tara und blies Sid Rauch ins Gesicht. Sie griff nach dem Feuerzeug und fing an, immer wieder daran zu drehen und Funken zu schlagen.
»Was hast du gestern gemacht, Reggie?«, fragte Charlie.
Ich habe Tara mein Bein mit einer Rasierklinge aufschlitzen lassen. Dann bin ich hingegangen und habe deinen Onkel getroffen und ihn gefragt, ob er mein Vater wäre. Ich habe herausgefunden, dass meine Mutter eine Hure war.
»Nichts«, sagte Reggie und versank tiefer in ihrem Stuhl, wünschte sie wäre überall, nur nicht hier.
Was war, wenn Bo gelogen hatte? All das Zeugs gesagt hatte, um die Wahrheit zu verschleiern, dass er wirklich Reggies Vater war? Der Gedanke machte sie krank. Sie blickte zu Charlie auf, in den sie seit der ersten Klasse verliebt war. War es wirklich möglich, dass er ihr Cousin sein könnte?
Reggies Kopf begann zu schmerzen.
»Alles in Ordnung?«, fragte Tara und rieb unter dem Tisch Reggies Schienbein mit der Spitze ihres Stiefels.
»Wunderbar«, sagte Reggie und schluckte heftig.
Der Barkeeper kam mit ihren Getränken zurück, und als Sid ihn fragte, bestätigte er, Ja, er sei Reuben, Besitzer des Lokals seit 1976.
»Freut mich, Sie kennenzulernen, Reuben.« Tara hielt ihm sittsam ihre Hand hin. Der große Mann nahm sie, drückte sie leicht.
»Ich frage mich, ob Sie uns helfen können. Sehen Sie, meine Freundin Reggie hier, sie ist Vera Dufranes Tochter. Wir haben gehört, dass Vera viel Zeit hier verbringt.«
»Ich kann nicht behaupten, dass ich sie kenne«, sagte Reuben. Der Kerl hatte ein Pokerface.
»Wirklich nicht?«, fragte Tara.
»Ich kann nicht sagen, dass ich mich an jemanden mit diesem Namen erinnere«, sagte Reuben.
»Sie ist ungefähr eins siebenundsechzig groß, hat platinblonde Haare, trägt jede Menge Make-up«, sagte Charlie in dem Versuch, wie sein Dad zu klingen. »Sie ist Schauspielerin. Und Fotomodell.«
Wussten Sie, dass ich das Aphrodite Cold Cream Mädchen war? Wollen Sie einen Trick sehen? Bestellen Sie mir einen Drink, und ich werde ihn Ihnen zeigen.
Reuben schüttelte den Kopf. »Kommt mir überhaupt nicht bekannt vor. Ihr Essen wird im Handumdrehen bei Ihnen sein«, sagte er, bevor er zur Bar zurückging. Er schenkte dem Vinyl-Mann nach und sagte etwas, das den großen Mann sich auf seinem Hocker drehen und zu ihrem Tisch blicken ließ. Seine Augen waren zu klein für sein breites, flaches Gesicht. Seine feuchte Haut schimmerte unter dem Licht der Lampen über der Bar.
Reggie, die sich befangen fühlte, wandte sich zu Charlie, flüsterte: »Mir gefällt es hier drin nicht. Ich will nach Hause.«
Charlie nickte. »Ich weiß. Mir gefällt es auch nicht. Aber lass uns noch bleiben und essen, okay?«
Er rückte näher an sie heran, legte seinen Arm um sie. Dadurch wurde ihr innerlich ganz warm, doch dann begriff sie, dass er es nur getan hatte, weil Tara sich an Sid geschmiegt hatte.
»Das ist alles so kaputt«, sagte Reggie und meinte alles: dass ihre Mutter verschwunden war, alles, was sie heute herausgefunden hatte, die Art wie Charlie sich an sie kuschelte, in dem traurigen Versuch, Tara eifersüchtig zu machen, die Tatsache, dass sie zugelassen hatte, dass Tara sie gestern mit einer Rasierklinge aufgeschlitzt hatte.
»Willkommen im wahren Leben, Baby-O«, sagte Tara und spielte mit ihrem Sanduhranhänger.
»Ich weiß
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