DAS 5. OPFER
Ahnung, ob sie die Frage gehört oder verstanden hatte.
»Lausige Gewinnchancen«, murmelte Reggie und dachte dass, wenn das Gebäude ein Pferd wäre, es alt und lahm wäre, reif für den Abdecker.
Genau in diesem Augenblick sprang die schwere hölzerne Vordertür auf und eine Wolke Rauch strömte heraus. Hinter der Wand aus schwarzem Rauch kam eine Frau in einem verblassten Schürzenkleid und einer Fischerweste. Reggie blinzelte, dachte zuerst, es wäre eine Erscheinung, ein Körper, der aus Rauch und Staub und Ruin entstanden war. Doch dann kam sie in ihr Blickfeld. Es war Lorraine, die die Stufen hinabging, ihre rechte Hand zu einem seltsamen, gezwungen aussehenden Winken erhoben hatte, das auch eine Warnung hätte sein können, stehenzubleiben und nicht näher zu kommen.
Reggie öffnete die Tür des Trucks, als Lorraine näher kam. Ihr Körper war steif und schlaksig, puppenartig, als sie ruckartig zu ihnen lief.
»Ich fürchte, wir brennen«, sagte Lorraine, nach Fisch stinkend, mit tränenden Augen, das Haar wild und versengt.
Auszug aus Neptuns Hände:
Die wahre Geschichte der ungelösten Morde von Brighton Falls
von Martha S. Paquette
Das Silver Spoon ist ein klassisches amerikanisches Diner, etwa eineinhalb Kilometer südlich des Flughafens. Das Äußere besteht aus schimmerndem Edelstahl, die Nischen sind aus rotem und weißem Vinyl. Eine Miniaturjukebox schmückt jeden Tisch. Die Specials sind auf einer Kreidetafel über der Theke aufgelistet: BelegtesTruthahnsandwich, Blaubeerstreuselkuchen, Tomatencremesuppe. Da es vierundzwanzig Stunden am Tag geöffnet hat, ist es ein Treffpunkt für die örtlichen Teenager – ein Ort, um sich nach der Doppelvorstellung im Drive-in-Kino auf den neuesten Stand zu bringen oder um sich ein Banana-Split mit seiner Verabredung zu teilen. Es ist außerdem bei LKW-Fahrern beliebt, und ab 2 Uhr morgens, wenn die Bars schließen und die Leute hereinkommen, um sich mit einem Kaffee und einem Westernomelette auszunüchtern, gerammelt voll.
Die zweiundvierzigjährige Candace Jacques war sieben Jahre Bedienung im Silver Spoon gewesen. Um 11.15 Uhr am Donnerstag, dem 6. Juni stempelte sie aus, und ihre Arbeitskollegen sahen, wie sie in einen braunen Sedan stieg, der von einem Mann gefahren wurde, den niemand richtig zu sehen bekam.
Candace war eine kontaktfreudige Frau, die ihr ganzes Leben in der Stadt verbracht hatte. Sie hatte eine Menge Freunde, die im Diner ein- und ausgingen.
»Sie schien fast alle in der Stadt zu kennen«, sagte der Manager des Diners, Lou Nordan.
Candaces neuerer Skylark hatte eine Woche vorher sein Antriebssystem durchgebrannt, und sie sparte für ein neues Auto, weshalb sie zusätzliche Schichten machte, wann immer sie konnte. Freunde und Arbeitskollegen nahmen sie zur Arbeit und von der Arbeit mit.
»Sie hat ein paar Nackenschläge einstecken müssen«, sagte Lou Nordan. »Aber sie ist immer wieder aufgestanden und hatte eine wirklich positive Einstellung zu den Dingen. Die Leute halfen ihr gerne, weil sie wussten, dass sie dasselbe für sie tun würde.«
Candaces ältliche Mutter, mit der sie die Wohnung teilte, wartete auf sie, weil sie ihr immer ein Stück Kuchen mitbrachte. Um 3 Uhr morgens, als es immer noch keine Anzeichen von Candace oder dem Pfirsichkuchen gab, mit dem sie das Diner verlassen hatte, rief ihre Mutter die Polizei an.
»Ihr ist etwas zugestoßen«, sagte die gebrechlich aussehende Frau, als sie vom Team eines Nachrichtensenders interviewt wurde. »Das sieht Candy nicht ähnlich. Ich weiß einfach, dass etwas passiert ist. Eine Mutter weiß das.«
10 7. Juni 1985 – Brighton Falls, Connecticut
MEINE MOM KENNT SIE«, sagte Reggie, als sie sich mit Charlie und Tara an diesem Abend im Silver Spoon traf. »Sie hat mich einmal mit hergebracht und uns vorgestellt.«
»Nie im Leben!«, sagte Tara. »Wie war sie so? Woher kennt deine Mom sie?«
Zu dem Diner zu gehen, war Taras Idee gewesen. Sobald sie von der vermissten Kellnerin gehört hatte, sagte sie, sie müssten hingehen – müssten es einfach tun.
»Stellt es euch vor«, sagte Tara träumerisch, »Salzstreuer zu berühren, die sie aufgefüllt hat, in ihrem Abschnitt zu sitzen, auf demselben Platz, auf dem der Mörder gesessen haben könnte, als er ihr nachstellte.«
»Wir wissen nicht einmal, ob er sie hat«, sagte Charlie.
»Natürlich hat er sie«, sagte Tara. »Ich kann es fühlen.«
»Wie praktisch, dass du auf einmal diese neu entdeckten übersinnlichen
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