DAS 5. OPFER
mit einem Kapuzenshirt mit Reißverschluss darüber. Sie hatte langes, kupferfarbenes, zum Zopf geflochtenes Haar, eine gepiercte Nase und einen schwarzen Rucksack über der Schulter.
Reggie sah zweimal hin.
»Tara?«
»Mrs Dufrane«, sagte Tara, ging direkt zu Veras Bett und berührte sie leicht am Arm. »Es ist so schön, Sie wiederzusehen.«
Reggie würde sie überall wiedererkennen, selbst ohne den dicken schwarzen Lidstrich, das stachelige Haar und die Sanduhrkette (die Reggie jetzt versteckt unter ihrem Shirt trug). Tara ignorierte Reggie, ihr Blick konzentrierte sich auf Vera. Reggie warf ihrer Tante einen Was-zum-Teufel-soll-das-Blick zu, und Lorraine antwortete mit einem breiten, stolzen Lächeln.
»Ich bin nicht Mrs Dufrane«, beklagte sich Vera, die trockenen Lippen zu einem engen kleinen Bogen. »Ich bin keine Mrs Irgendwer.«
Tara lächelte. »Wie wäre es dann mit Vera? Wäre das in Ordnung? Und Sie können mich Tara nennen. Ich bin auch keine Mrs Irgendwer.« Sie zwinkerte Vera zu. »Ich bin eine alte Freundin von Reggie. Erinnern Sie sich?«
Vera nickte, aber es war kein Wiedererkennen in ihren Augen.
»Ich hatte damals eine verrückte Frisur. Schwarz, mit blonden Spitzen.«
Vera lächelte. »Wussten Sie, dass ich das Aphrodite-Cold-Cream-Mädchen war?«
»Das wusste ich. Und wissen Sie was – Ich erinnere mich daran, dass ich die alte Anzeige gesehen habe. Ich werde sehen, ob ich eine Kopie machen kann, und wir können sie einrahmen und sie direkt an Ihre Wand hängen. Würde Ihnen das gefallen, Vera?«
Vera lächelte.
»Jetzt werde ich gehen und all meinen Kram wegräumen und mich einrichten, während Sie Ihr Abendessen beenden. Dann werde ich zurückkommen und dafür sorgen, dass sie alle Ihre Medikamente haben, und Ihnen vielleicht helfen, sich fürs Bett fertigzumachen. Klingt das wie ein Plan?«
Reggies Mutter nickte leicht und zupfte dann weiter an ihrer Pizza herum.
Tara wandte sich an Lorraine, rückte ihren Rucksack auf ihrer Schulter zurecht. »In welchem Zimmer wohne ich?«
»Vaters altes Zimmer«, sagte Lorraine lächelnd. »Ich habe es für dich fertiggemacht, saubere Bettwäsche aufgezogen.«
Reggie trat zwischen die beiden. »Ich werde es dir zeigen«, sagte sie. Tara sah sie zum ersten Mal an, mit einem vertrauten, schelmischen Funkeln in ihren Augen.
»Gute Idee«, sagte Lorraine und sammelte die Porzellanteller zusammen, von denen sie gegessen hatten. »Du gehst und hilfst ihr, sich einzurichten.«
IN REGGIES KOPF DREHTE SICH ALLES. »Du bist Krankenschwester? In echt?« Sie klang wie eine unbeholfene Dreizehnjährige. So viel zu dem Kreuzverhör, in das sie Lorraines Kandidatin hatte nehmen wollen.
»Ja, seit fünfzehn Jahren. Ich habe ein paar Jahre in der Onkologie-Abteilung des Krankenhauses in Hartford gearbeitet, dann für einen Heimpflege-Gesundheitsdienst und Hospizservice. Ich mache das noch manchmal, aber hauptsächlich mache ich heutzutage Privatpflege. Es gefällt mir. Ich arbeite allein, keiner guckt mir über die Schulter. Willst du meine Lizenz sehen?«, sagte Tara. Sie hatte ihren Rucksack auf das ordentlich bezogene Einzelbett gelegt und zog den Reißverschluss auf. »Ich zeige dir meine, wenn du mir deine zeigst«, sagte sie mit einem spöttischen Lächeln. »Falls Architekten Lizenzen haben.«
»Woher weißt du, was ich tue?«
Tara stieß ein bellendes Lachen aus. »Scheiße, Reggie! Denkst du, dass du, nur weil du wegziehst und niemals zurückkommst, völlig von der Bildfläche verschwunden bist? Dass du nicht mehr existierst?« Tara nahm einen Stapel ordentlich gefalteter Shirts heraus und trug sie zu einer offenen Schublade. Reggie bemerkte eine kunstvolle Tätowierung auf Taras rechtem Handgelenk – ein schwarzer Vogel mit einem Flügel, mit dem etwas gar nicht stimmte – er war abgewinkelt und gebrochen. Sie umrundete Taras Handgelenk wie ein seltsam makabres Armband. Reggie stellte sich vor, wie der Ärmel von Taras Kapuzenjacke hochrutschte, fragte sich, ob sie immer noch in der Lage wäre, Spuren der Narben zu sehen. Tara erwischte sie dabei, wie sie hinsah, und Reggies Gesicht rötete sich.
»Nein«, sagte Reggie und sah weg. Dann wandte sie sich Tara wieder zu, sagte sich, dass es lächerlich war, die gleiche kindische Furcht zu verspüren, das vertraute Gefühl zu haben, verstört und Tara völlig ausgeliefert zu sein. »Es ist nur, dass …«
»Doch du bist nicht einfach irgendeine Architektin, oder?« Tara hob eine
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