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Das 6. Buch des Blutes - 6

Das 6. Buch des Blutes - 6

Titel: Das 6. Buch des Blutes - 6 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
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ein gewisses Vergnügen darin, diese Konsumorgien zu betrachten: die hoch mit Essenswaren beladenen Einkaufswagen und Körbe, die Kinder, die gierige Augen bekamen, sobald sie sich den Süßigkeiten näherten, und zu weinen anfingen, wenn sie ihnen verwehrt wurden, und die Hausfrauen, die prüfend den Wert eines Lammschlegels abschätzten, während ihre Ehemänner nicht weniger berechnend die jungen Verkäuferinnen musterten.
    Sie kaufte für das Wochenende doppelt soviel Lebensmittel wie normalerweise für die ganze Woche, da die Gerüche der Feinkost- und der Frischfleischtheke ihren Appetit maßlos steigerten. Bis sie endlich wieder vor ihrem Haus stand, zitterte sie beinahe vor Vorfreude auf Nahrung. Als sie die Tüten abge-stellt hatte und nach dem Hausschlüssel suchte, hörte sie, wie hinter ihr eine Autotür zugeschlagen wurde.
    »Elaine?«
    Es war Hermione. Der Rotweinkonsum von letzter Nacht hatte ihr Gesicht fleckig und blaß gemacht.
    »Geht es dir gut?« fragte Elaine.
    »Wichtig ist, geht es dir gut?« wollte Hermione wissen.
    »Ja, prächtig. Warum nicht?«
    Hermione sah sie besorgt an. »Sonja hat eine Art Lebensmittelvergiftung, und Reuben auch. Ich wollte nur nachsehen, ob mit dir alles in Ordnung ist.«
    »Wie schon gesagt, prächtig.«
    »Das verstehe ich nicht.«
    »Was ist mit Nellwyn und Sam?«
    »Dort nimmt niemand ab. Aber um Reuben steht es schlecht.
    Sie haben ihn zu Tests ins Krankenhaus gebracht.«
    »Möchtest du reinkommen und eine Tasse Kaffee trinken?«
    »Nein danke, ich muß wieder zu Sonja. Mir war nur nicht wohl bei der Vorstellung, daß du ganz alleine wärst, falls du es auch bekommen hast.«
    Elaine lächelte. »Du bist ein Engel«, sagte sie und küßte Hermione auf die Wange. Die Geste schien die andere Frau zu erschrecken. Aus irgendwelchen Gründen wich sie nach dem Kuß zurück und sah Elaine mit einem unbestimmten, verwirrten Ausdruck in den Augen an.
    »Ich muß… ich muß gehen«, sagte sie mit unbeweglichem Gesicht, als könnte es sie verraten.
    »Ich ruf dich später an«, sagte Elaine, »und erkundige mich, wie es ihnen geht.«
    »Gut.«
    Hermione wandte sich ab und ging über den Gehweg zum Auto. Obwohl sie einen halbherzigen Versuch unternahm, die Geste zu verbergen, konnte Elaine sehen, wie sie die Finger zu der Stelle führte, wo sie geküßt worden war, und daran kratzte, als wollte sie den Kontakt ungeschehen machen.
    Es war nicht die Jahreszeit für Fliegen, aber diejenigen, die die jüngste Kältewelle überlebt hatten, summten in der Küche herum, während Elaine Brot, rohen Schinken und Knoblauchwurst aus ihren Einkäufen auswählte und sich zum Essen hinsetzte. Sie hatte einen Heißhunger. Innerhalb von fünf Minuten hatte sie die Fleischwaren gegessen und dem Laib Brot ganz schön zugesetzt, und ihr Hunger war kaum besänftigt. Als sie sich noch ein Dessert aus Feigen und Käse zu Gemüte führte, dachte sie an das Pilzomelette, das sie am Tag nach dem Besuch im Krankenhaus nicht geschafft hatte. Ein Gedanke führte zum anderen; vom Omelette zum Rauch zum Platz zu Kavanagh zu ihrem jüngsten Besuch in der Kirche, und plötzlich verspürte sie den innigsten Wunsch, sie noch einmal zu sehen, bevor sie endgültig dem Erdboden gleichgemacht wurde. Wahrscheinlich kam sie schon zu spät. Die Leichen waren bestimmt schon verpackt und woandershin gebracht, die Krypta war vermutlich desinfiziert und gesäubert, von den Mauern nur noch Geröll übrig. Aber sie wußte, sie würde erst zufrieden sein, wenn sie sich selbst vergewissert hatte.
    Selbst nach der üppigen Mahlzeit, von der ihr noch vor ein paar Tagen schlecht geworden wäre, fühlte sie sich beschwingt, als sie zur Kirche Allerheiligen aufbrach; fast, als wäre sie betrunken. Nicht die rührselige Trunkenheit, zu der sie, als sie mit Mitch zusammen war, immer tendierte, sondern eine Euphorie, unter deren Einfluß sie sich beinahe unverwundbar fühlte, als hätte sie endlich einen strahlenden und unverwüstlichen Teil in sich gefunden, und nun konnte ihr kein Leid mehr geschehen.
    Sie hatte sich darauf vorbereitet, Allerheiligen in Trümmern vorzufinden, aber es kam anders. Das Gebäude stand noch, die Mauern waren unberührt, die Dachbalken zerschnitten noch den Himmel. Vielleicht war es ebenfalls nicht kleinzukriegen, überlegte sie; vielleicht waren sie und die Kirche Zwillinge in der Unsterblichkeit. Der Verdacht wurde durch die schnat-ternde Schar neuer Anbeter bestärkt, die die Kirche angezogen

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