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Das 6. Buch des Blutes - 6

Das 6. Buch des Blutes - 6

Titel: Das 6. Buch des Blutes - 6 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
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innerhalb vernünftiger Grenzen, erfüllen; alles, nur um nicht so sterben zu müssen wie die anderen. Er würde ihnen sogar das Land zurückgeben.
    Es war eine anstrengende Fahrt, und sein mürrischer Begleiter beschwerte sich oft und unverständlich. Er stieß bei Locke auf taube Ohren. Er hatte keine Zeit für Trödeleien. Ihre lärmende Fahrt, der Motor des Jeeps, der sich über jede neue akrobatische Leistung beschwerte, die von ihm verlangt wurde, weckten den Dschungel ringsum, ein ganzes Repertoire von Heulen, Schreien und Kreischen. Ein aufdringlicher, gieriger Ort, dachte Locke. Zum ersten Mal, seit er einen Fuß auf diesen Subkontinent gesetzt hatte, verabscheute er ihn von ganzem Herzen. Hier hatte man keinen Platz, um den Sinn von Geschehnissen zu erkennen, man konnte bestenfalls hoffen, daß einem zwischen einem vergänglichen Erblühen und dem nächsten eine Nische zum Atmen gestattet wurde.
    Eine halbe Stunde vor Einbruch der Dunkelheit kamen sie, erschöpft von der Fahrt, an der Grenze des Dorfs an. Es hatte sich in den wenigen Tagen, seit sie hiergewesen waren, kaum verändert, aber der Kreis der Hütten war eindeutig verlassen.
    Die Türen standen klaffend offen, die gemeinschaftlichen Feuer, die sonst immer gebrannt hatten, waren Asche. Weder ein Kind noch ein Schwein sah ihn an, während er über das Gelände schritt. Als er den Mittelpunkt des Kreises erreicht hatte, blieb er stehen und sah sich um, suchte nach irgendeinem Hinweis auf das, was hier geschehen war. Aber er fand keinen.
    Die Müdigkeit machte ihn verwegen. Er nahm seine gebrochene Kraft zusammen und schrie in die Stille: »Wo seid ihr? «
    Zwei leuchtendrote Aras mit fingergleichen Flügeln stoben kreischend von den Bäumen am anderen Ende des Dorfes empor. Wenige Augenblicke später kam eine Gestalt aus dem Balsa- und Jakarandadickicht heraus. Es war keiner vom Stamm, sondern Dancy. Er blieb stehen, bevor er völlig ins Freie trat, dann erkannte er Locke, lächelte breit und trat in den Kreis.
    Hinter ihm raschelte das Unterholz, als noch andere herauskamen. Tetelman war da, ebenso ein paar Norweger, die von einem Mann namens Bjørnstrøm angeführt wurden, den Locke kurz im Handelsposten gesehen hatte. Sein Gesicht unter dem Schopf sonnengebleichten Haares sah wie gekochter Hummer aus.
    »Mein Gott«, sagte Tetelman, »was machen Sie denn hier?«
    »Dieselbe Frage könnte ich Ihnen stellen«, antwortete Locke aufgebracht.
    Bjørnstrøm gab seinen drei Begleitern ein Winkzeichen, die Gewehre zu senken, und kam mit einem versöhnlichen Lächeln näher.
    »Mr. Locke«, sagte der Norweger und streckte eine Hand im Lederhandschuh aus. »Gut, daß wir uns hier treffen.«
    Locke sah voll Ekel auf den fleckigen Handschuh hinab, und Bjørnstrøm zog ihn mit schuldbewußter Miene aus. Die Hand darunter war makellos sauber.
    »Bitte um Entschuldigung«, sagte er. »Wir haben gearbeitet.«
    »Woran?« fragte Locke, während sich die Säure in seinem Magen einen Weg nach oben bahnte. Tetelman spie aus.
    »Indianer«, sagte er, »Wo ist der Stamm?« fragte Locke.
    Wieder Tetelman: »Bjørnstrøm behauptet, er hätte Besitzrechte an diesem Land…«
    »Der Stamm«, beharrte Locke, »wo sind sie?«
    Der Norweger spielte mit dem Handschuh.
    »Haben Sie sie ausbezahlt, oder was?« fragte Locke.
    »Nicht direkt«, antwortete Bjørnstrøm. Sein Englisch war, wie sein Profil, tadellos.
    »Nehmt ihn mit«, schlug Dancy fast enthusiastisch vor. »Soll er es mit eigenen Augen sehen.«
    Bjørnstrøm nickte. »Warum nicht«, sagte er. »Berühren Sie nichts, Mr. Locke. Und sagen Sie Ihrem Träger, er soll bleiben, wo er ist.«
    Dancy hatte sich bereits umgedreht und ging in das Dickicht.
    Bjørnstrøm folgte ihm nun und geleitete Locke über den offenen Platz auf einen Pfad zu, der in das dichte Gebüsch gehackt worden war. Locke konnte kaum Schritt halten, seine Glieder wurden mit jedem Schritt widerwilliger. Der Pfad war viel benutzt und zertrampelt. Blätter und Orchideenblüten waren in den aufgeweichten Boden getreten worden.
    Auf einer kleinen Lichtung nicht mehr als hundert Meter vom Dorf entfernt hatten sie eine Grube ausgehoben. Sie war nicht tief, diese Grube, und auch nicht besonders groß. Die Gerüche von Kalk und Petroleum überlagerten alle anderen.
    Tetelman, der die Lichtung vor Locke erreicht hatte, trat nicht an den Rand des Erdlochs, aber Dancy war nicht so zimperlich. Er ging zur anderen Seite der Öffnung und winkte Locke, sich den

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