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Das 6. Buch des Blutes - 6

Das 6. Buch des Blutes - 6

Titel: Das 6. Buch des Blutes - 6 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
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leuchtete.
    » Es wird dich umbringen! « sagte die Stimme, und wie um das, was sie sagte, zu unterstreichen, schwoll der Lärm plötzlich über die Grenze des Erträglichen hinaus an und spülte Trauergemeinde und Sarg und alles andere auf einer Woge des Schmerzes davon. Plötzlich schien es, als hätte die Stimme die Wahrheit gesagt, als wäre er dem Tode nahe. Aber es war nicht der Traum, der vorhatte, ihn zu töten, sondern der Wächter, den sie zwischen ihn und den Traum gestellt hatten: diese schädel-zerschmetternde Kakophonie.
    Erst jetzt bemerkte er, daß er, von diesem Angriff niedergestreckt, auf den Boden gefallen war. Er tastete blind um sich, spürte die Wand und schob sich darauf zu, während die Maschinen immer noch hinter seinen Augen dröhnten und ihm das Blut heiß übers Gesicht strömte.
    Er stand, so gut er konnte, auf und ging in Richtung Badezimmer. Hinter ihm begann die Stimme, die ihren Wutanfall unter Kontrolle gebracht hatte, erneut mit ihrer Beschwörung.
    Sie war so deutlich, daß er sich umdrehte und halb damit rechnete, den Sprecher zu sehen, und er wurde nicht enttäuscht. Ein paar vage Augenblicke lang schien er in einem kleinen Zimmer ohne Fenster zu stehen, die Wände einheitlich weiß gestrichen.
    Das Licht war grell und leblos, und in der Mitte des Zimmers stand das Gesicht zu der Stimme und lächelte.
    » Deine Träume bereiten dir Schmerzen « , sagte er. Wieder das erste Gebot. » Begrabe sie, Ballard, und die Schmerzen
    werden vergehen. «
    Ballard weinte wie ein Kind; es beschämte ihn, daß er beobachtet wurde. Er wandte sich von seinem Lehrmeister ab, um seine Tränen zu verbergen.
    » Vertraue uns«, sagte eine andere Stimme in der Nähe. »Wir sind deine Freunde. «
    Er traute ihren schönen Worten nicht. Die Schmerzen, vor denen sie ihn retten wollten, entsprangen ihrem Tun; sie waren der Stock, um ihn zu schlagen, wenn ihn die Träume riefen.
    » Wir wollen dir helfen«, sagte der eine oder andere von ihnen.
    »Nein…« murmelte er. »Nein, verdammt… Ich… ich glaube nicht…«
    Das Zimmer verblaßte, und er war wieder im Schlafzimmer, wo er sich an die Wand geklammert hatte wie ein Bergsteiger an einen Steilhang. Bevor sie ihn mit weiteren Worten, mit weiteren Schmerzen bedrängen konnten, tastete er sich zur Badezimmertür und stolperte blind zur Dusche. Es folgte ein Augenblick der Panik, während er nach den Armaturen suchte, dann strömte das Wasser. Es war bitter kalt, aber er hielt den Kopf darunter, während der Ansturm der Rotorblätter immer noch versuchte, ihm die Schädeldecke zu zertrümmern. Eiskaltes Wasser kroch ihm den Rücken hinab, aber er ließ sich den Regen wie einen Sturzbach auf den Kopf prasseln, und die Hubschrauber zogen nacheinander ab. Er bewegte sich nicht, obwohl sein Körper vor Kälte zitterte, bis der letzte verschwunden war; dann setzte er sich auf den Rand der Wanne und trocknete sich Gesicht und Hals und Körper ab, und schließlich ging er, als seine Beine sich tapfer genug anfühlten, wieder ins Schlafzimmer zurück.
    Er legte sich fast in derselben Haltung wie vorher auf dieselben zerwühlten Laken; aber nichts war mehr wie vorher. Er wußte nicht, was sich verändert hatte, oder wie. Er lag den Rest der Nacht da, und kein Schlaf störte seine heitere Gelassenheit, während er versuchte, das Rätsel zu lösen, und kurz vor der Morgendämmerung erinnerte er sich an die Worte, die er im Angesicht der Halluzination gemurmelt hatte. Einfache Worte; aber, oh, ihre Macht.
    »Ich glaube nicht…« hatte er gesagt. Und die Gebote erbebten.
    Eine halbe Stunde vor Mittag war er in der kleinen Versandbuchhandlung, die Suckling als Tarnung diente. Er fühlte sich trotz der nächtlichen Vorkommnisse bei klarem Verstand, kam mit seinem Charme rasch an der Vorzimmerdame vorbei und ohne vorherige Anmeldung in Sucklings Büro. Als Suckling den Besucher erblickte, schnellte er aus seinem Sessel hoch, als wäre auf ihn geschossen worden.
    »Guten Morgen«, sagte Ballard. »Ich dachte, es wäre an der Zeit, daß wir uns einmal unterhalten.«
    Suckling sah zur Bürotür, die Ballard einen Spalt offengelassen hatte.
    »Tut mir leid. Zieht es?« Ballard machte die Tür sanft zu.
    »Ich möchte Cripps sehen«, sagte er.
    Suckling watete durch die Flut von Büchern und Manuskripten, die seinen Schreibtisch zu ertränken drohte.
    »Haben Sie den Verstand verloren, hierherzukommen?«
    »Sagen Sie ihnen, daß ich ein Freund der Familie bin«, meinte

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