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Das 6. Buch des Blutes - 6

Das 6. Buch des Blutes - 6

Titel: Das 6. Buch des Blutes - 6 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
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Ballard.
    »Ich kann einfach nicht glauben, daß Sie so dumm sind.«
    »Sagen Sie mir einfach, wo Cripps ist, dann gehe ich sofort wieder.«
    Suckling achtete nicht darauf, sondern setzte seine Tirade fort.
    »Es hat zwei Jahre gedauert, bis ich hier glaubwürdig eingeführt war.«
    Ballard lachte.
    »Ich werde das melden, verdammt!«
    »Das sollten Sie auch«, sagte Ballard wesentlich lauter.
    »Aber bis dahin: Wo ist Cripps? «
    Suckling, der offenbar davon überzeugt war, daß er es mit einem Wahnsinnigen zu tun hatte, nahm sich zusammen. »Also gut«, sagte er. »Ich werde dafür sorgen, daß jemand Sie anruft und zu ihm bringt.«
    »Das reicht mir nicht«, antwortete Ballard. Er ging mit zwei ausgreifenden Schritten zu Suckling und packte ihn am Kragen. Er hatte in zehn Jahren höchstens drei Stunden in Gesellschaft von Suckling verbracht, aber es war kaum ein Augenblick dabei verstrichen, in dem er sich nicht gewünscht hatte, genau das zu tun, was er jetzt tat. Er schlug die Hände des Mannes weg und drängte ihn gegen das Bücherregal an der Wand. Suckling stieß mit der Ferse gegen einen Bücherstapel, der umkippte.
    »Noch einmal«, sagte Ballard. »Der Alte.«
    »Nehmen Sie Ihre verdammten Hände weg«, sagte Suckling, dessen Wut nun, da er angefaßt wurde, doppelt heftig wieder aufloderte.
    »Noch einmal«, sagte Ballard. »Cripps.«
    »Dafür werde ich Sie fertigmachen lassen. Sie fliegen raus! «
    Ballard kam Sucklings gerötetem Gesicht ganz nahe und lächelte. »Ich fliege sowieso raus. Es ist jemand ums Leben gekommen, erinnern Sie sich? London braucht ein Opferlamm, und ich glaube, das werde ich sein.«
    Sucklings Gesicht wurde schlaff.
    »Ich habe also nichts zu verlieren, oder?« Keine Antwort.
    Ballard drückte sich dichter an Suckling und hielt den Mann noch fester. »Oder?«
    Suckling verließ der Mut. »Cripps ist tot«, sagte er.
    Ballard lockerte seinen Griff nicht. »Das haben Sie auch von Odell gesagt…« bemerkte er. Als er diesen Namen hörte, riß Suckling die Augen auf. »… und ich habe ihn erst gestern nacht gesehen«, sagte Ballard. »In der Stadt.«
    »Sie haben Odell gesehen?«
    »O ja.«
    Als er den Toten erwähnte, fiel ihm die Szene in der Nebenstraße wieder ein. Der Gestank der Leiche, das Schluchzen des Jungen. Es gab noch andere Gedanken, dachte sich Ballard, abseits des einen, den er einst mit der Kreatur unter ihm gemeinsam gehabt hatte. Glauben, deren Bezeugungen mit Blut und Hitze gemacht wurden, deren Dogmen Träume waren. Wo sollte er sich besser in diesem neuen Glauben taufen, wenn nicht hier, im Blut des Feindes?
    Er konnte irgendwo im Hinterkopf die Hubschrauber hören, aber er ließ sie nicht in die Luft aufsteigen. Heute war er stark; sein Kopf, die Hände, alles stark. Als er mit den Nägeln an Sucklings Augen vorbeistrich, floß das Blut schnell. Er hatte eine plötzliche Vision von dem Gesicht unter der Haut, von Sucklings Zügen, die bis auf ihr Wesentliches entblößt waren.
    »Sir?«
    Ballard sah über die Schulter. Die Vorzimmerdame stand unter der offenen Tür.
    »Oh. Ich bitte um Entschuldigung«, sagte sie und wollte wieder hinausgehen. Ihrem Erröten konnte man entnehmen, daß sie die Sache für einen Zwist unter Liebenden hielt, dessen Zeuge sie geworden war.
    »Bleiben Sie«, sagte Suckling. »Mr. Ballard… wollte gerade gehen.«
    Ballard ließ sein Opfer los. Es würden sich andere Gelegenheiten ergeben, Suckling das Leben zu nehmen. »Wir sehen uns wieder«, sagte er. Suckling zog ein Taschentuch aus der Brusttasche und hielt es ans Gesicht.
    »Worauf Sie sich verlassen können«, antwortete er.
    Jetzt würden sie ihn bald holen, daran gab es keinen Zweifel.
    Er war ein aufwieglerisches Element, und sie würden versuchen, ihn schnellstmöglich zum Schweigen zu bringen. Der Gedanke beunruhigte ihn nicht. Was immer er durch ihre Gehirnwäsche hatte vergessen sollen, war ehrgeiziger als erwartet; so tief er es auch hatte begraben müssen, es bahnte sich einen Weg zur Oberfläche zurück. Er konnte es noch nicht sehen, wußte aber, daß es in der Nähe war. Auf dem Rückweg in sein Zimmer bildete er sich mehr als einmal ein, Blicke im Rücken zu spüren. Vielleicht wurde er immer noch verfolgt, aber seine Instinkte verrieten ihm etwas anderes. Die Präsenz, die er in der Nähe spürte – so nahe, daß sie manchmal fast an seinen Schultern war –, war vielleicht einfach ein anderer Teil von ihm. Er fühlte sich von ihr beschützt wie von einem

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