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Das 6. Buch des Blutes - 6

Das 6. Buch des Blutes - 6

Titel: Das 6. Buch des Blutes - 6 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
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wollte Ballard die Tür vor der Nase zuschlagen, aber das verhinderte Ballards Fuß.
    Ballard machte sich die Tatsache zunutze, daß der Mann abgelenkt war, und stemmte sich mit der Schulter gegen die Tür. Er war schon im Flur – hatte ihn tatsächlich sogar halb durchquert –, als der Russe erst zur Verfolgung ansetzte. Der Lärm der Zerstörung hatte zugenommen und wurde jetzt noch vom Kreischen eines Mannes übertönt. Ballard folgte den Geräuschen aus dem Hoheitsgebiet der Glühbirne hinaus ins Halbdunkel im hinteren Teil des Hauses. Hier hätte er sich vielleicht verirrt, wäre nicht vor ihm eine Tür aufgerissen worden.
    Das Zimmer dahinter hatte scharlachrote Fußbodendielen, die glänzten, als wären sie gerade frisch gestrichen worden.
    Und dann trat der Innenarchitekt persönlich heraus. Sein Oberkörper war vom Nabel bis zum Hals aufgerissen. Er drückte die Hände auf die klaffende Wunde, aber sie konnte die Flut nicht zurückhalten; sein Blut schoß in Schüben hervor, und mit ihm die Eingeweide. Er sah Ballard in die Augen, und aus seinem Blick sprach schon der Tod, aber sein Körper hatte die Anweisung, sich hinzulegen und zu sterben, noch nicht empfangen. In einem bemitleidenswerten Versuch, die Hinrichtungsstätte hinter sich zu lassen, taumelte er weiter.
    Das Schauspiel hatte Ballard aufgehalten, und jetzt packte ihn der Russe von der Tür, zog ihn in den Flur zurück und schrie ihm ins Gesicht. Ballard verstand den Ausbruch in panikverzerrtem Russisch nicht, aber für die Hände, die seinen Hals umklammerten, brauchte er keine Übersetzung. Der Russe wog etwa eineinhalbmal soviel wie er und hatte den Griff eines geübten Würgers, doch Ballard fühlte sich ihm mühelos überlegen. Er wand die Hände des Angreifers vom Hals und schlug ihm übers Gesicht. Es war ein gewaltiger Schlag. Der Russe fiel gegen die Treppe, sein Brüllen verstummte.
    Ballard sah wieder zu dem scharlachroten Zimmer. Der Tote war nicht mehr da, aber es lagen noch Fleischfetzen auf der Schwelle.
    Und aus dem Inneren drang Gelächter. Ballard wandte sich an den Russen. »Was, in Gottes Namen, geht hier vor?« wollte er wissen, aber der andere Mann starrte nur durch die offene Tür.
    Das Gelächter hatte aufgehört, während Ballard sprach. Ein Schatten glitt über die blutbespritzte Wand des Zimmers, und eine Stimme sagte: »Ballard?«
    Die Stimme war heiser, als hätte der Sprecher den ganzen Tag und die ganze Nacht geschrien, aber es war die Stimme von Mironenko.
    »Stehen Sie nicht draußen in der Kälte herum«, sagte er.
    »Kommen Sie herein. Und bringen Sie Solomonow mit.«
    Der andere Mann wollte zur Eingangstür, aber Ballard hielt ihn fest, noch bevor er zwei Schritte weit gekommen war.
    »Kein Grund zur Angst, Genosse«, sagte Mironenko. »Der Hund ist fort.« Solomonow fing trotz dieser Beteuerung zu schluchzen an, als Ballard ihn in Richtung der offenen Tür drängte.
    Mironenko hatte recht gehabt, drinnen war es wärmer. Und keine Spur von einem Hund. Aber dafür Blut im Überfluß. Der Mann, den Ballard gerade auf der Schwelle taumeln gesehen hatte, war in das Schlachthaus zurückgezogen worden, während er und Solomonow gekämpft hatten. Der Leichnam war mit unglaublicher Barbarei behandelt worden. Der Kopf war zertrümmert, das Innere grausig über den Boden verstreut. Und in einer schattigen Ecke dieses schrecklichen Zimmers kauerte Mironenko. Den Schwellungen an Kopf und Oberkörper zufolge, war er gnadenlos geprügelt worden, aber das unrasierte Gesicht zeigte seinem Erlöser ein Lächeln.
    »Ich wußte, daß Sie kommen würden«, sagte er. Sein Blick fiel auf Solomonow. »Sie sind mir gefolgt«, sagte er. »Ich glaube, sie wollten mich töten. Hattest du das vor, Genosse?«
    Solomonow schlotterte vor Angst – er sah vom geschwollenen Mond von Mironenkos Gesicht zu den überall herumliegenden Eingeweiden –, da er nirgends einen Ort der Zuflucht fand.
    »Was hat sie aufgehalten?« fragte Ballard.
    Mironenko stand auf. Solomonow zuckte selbst bei dieser langsamen Bewegung zusammen.
    »Erzähl Mr. Ballard alles«, drängte Mironenko. »Erzähl ihm alles, was geschehen ist.« Solomonow konnte vor Entsetzen nicht sprechen. »Er gehört natürlich zum KGB«, erklärte Mironenko. »Beides Männer, denen man vertraute. Aber nicht so sehr, daß man sie gewarnt hätte, die armen Narren. Sie wurden losgeschickt, nur mit einem Gewehr und einem Gebet bewaffnet, um mich zu töten.« Er lachte über diese

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