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Das 6. Buch des Blutes - 6

Das 6. Buch des Blutes - 6

Titel: Das 6. Buch des Blutes - 6 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
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gesehen?«
    »Etwas und nichts«, sagte Harry. »Einen Tiger, dachte ich.
    Aber es war keiner.«
    »Die alten Mittel«, bemerkte Valentin.
    »Und Butterfield hatte noch etwas bei sich. Etwas, das Licht ausstrahlte. Was, das habe ich nicht gesehen.«
    »Der Castrato«, murmelte Valentin mehr zu sich selbst. Er war sichtlich beunruhigt. »Wir müssen sehr vorsichtig sein.« Er stand auf. Die Bewegung ließ ihn zusammenzucken. »Ich glaube, wir sollten uns auf den Weg machen, Harry.«
    »Bezahlen Sie mich dafür?« fragte Harry. »Oder mache ich es aus reiner Liebe?«
    »Sie machen es wegen dem, was in der Wyckoff Street passiert ist«, lautete die geflüsterte Antwort. »Weil Sie die ar-me Mimi Lomax an die Unterwelt verloren haben und Swann nicht verlieren möchten. Das heißt, wenn es nicht schon geschehen ist.«
    Sie bekamen ein Taxi in der Madison Avenue und fuhren durch die Stadt zur Einundsechzigsten Straße zurück; beide schwiegen während der Fahrt. Harry wollte Valentin ein halbes Hundert Fragen stellen. Wer war Butterfield, zum Beispiel, und welches Verbrechen hatte Swann begangen, daß er bis zum Tod und darüber hinaus verfolgt wurde? So viele Rätsel. Aber Valentin sah krank aus, jedenfalls nicht so, als könnte er Fragen beantworten. Außerdem spürte Harry, je mehr er wußte, desto weniger Lust hätte er, die jetzige Fahrt fortzusetzen.
    »Wir haben möglicherweise einen Vorteil…« sagte Valentin, als sie sich der Einundsechzigsten Straße näherten. »Sie werden nicht mit diesem Frontalangriff rechnen. Butterfield denkt, daß ich tot bin, und er geht wahrscheinlich davon aus, daß Sie sich in Todesangst verstecken.«
    »Ich arbeite daran.«
    »Sie sind nicht in Gefahr«, antwortete Valentin, »jedenfalls nicht so wie Swann. Selbst wenn sie Sie in Stücke reißen würden, wäre das nichts im Vergleich mit den Qualen, die den Magier erwarten.«
    »Illusionisten«, verbesserte Harry ihn, aber Valentin schüttelte den Kopf.
    »Magier war er, Magier wird er immer sein.«
    Der Fahrer unterbrach sie, bevor Harry Dorothea zu diesem Thema zitieren konnte.
    »Zu welcher Hausnummer wollen Sie?«
    »Lassen Sie uns einfach hier rechts raus«, wies Valentin ihn an. »Und warten Sie auf uns, verstanden?«
    »Klar.«
    Valentin wandte sich an Harry. »Geben Sie dem Mann fünfzig Dollar.«
    »Fünfzig?«
    »Soll er auf uns warten oder nicht?«
    Harry zählte dem Fahrer vier Zehner und zehn Eindollarscheine in die Hand.
    »Sie sollten den Motor laufen lassen.«
    »Stehe gern zu Diensten«, grinste der Fahrer.
    Harry stieg aus und ging gemeinsam mit Valentin die fünfundzwanzig Meter bis zu dem Haus. Obwohl es spät war, herrschte noch Lärm auf der Straße: Die Party, deren Vorbereitungen Harry am Abend gesehen hatte, war in vollem Gange. In der Residenz der Swanns war jedoch keine Spur von Leben zu sehen.
    Vielleicht erwarten sie uns nicht, dachte Harry. Dieser Frontalangriff war so ziemlich die närrischste Taktik, die er sich vorstellen konnte, und ebendeshalb konnte sie den Gegner möglicherweise überraschen. Aber ließen sich solche Mächte je überraschen? Gab es eine einzige Minute in ihrem Madendasein, da ihnen die Augen zufielen und der Schlaf sie eine Zeitlang zähmte? Nein. Harry hatte die Erfahrung gemacht, daß nur die Guten Schlaf brauchten. Die Sünde und ihre Praktiker waren jeden eifrigen Augenblick wach und planten neue Schandtaten.
    »Wie kommen wir hinein?« fragte er, als sie vor dem Haus standen.
    »Ich habe den Schlüssel«, antwortete Valentin und ging zur Tür.
    Jetzt gab es kein Zurück mehr. Der Schlüssel wurde gedreht, die Tür ging auf, sie verließen die relative Sicherheit der Straße. Das Haus war drinnen so dunkel, wie es von außen gewirkt hatte. In keinem Stockwerk hörte man etwas, das auf die Anwesenheit eines Menschen schließen ließ. War es möglich, daß die Schutzmechanismen, mit denen Swann seinen Leichnam umgeben hatte, Butterfield tatsächlich standgehalten hatten, so daß er und seine Kohorten abgezogen waren? Valentin machte diesen unangebrachten Optimismus auf der Stelle zunichte, indem er Harrys Hand ergriff, sich dicht zu ihm beugte und flüsterte: »Sie sind hier.«
    Harry wußte, dies war kein günstiger Zeitpunkt, Valentin zu fragen, woher er das wußte, aber er nahm sich vor, ihn um eine Erklärung zu bitten, wenn – oder falls – sie das Haus verlassen und noch eine Zunge im Mund hatten.
    Valentin war bereits auf der Treppe. Während seine Augen sich an das

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