Das achte Opfer
Osteuropäer. Alles deutete darauf hin, daß die Toten in den Kreisen der organisierten Kriminalität verkehrt hatten und dort auch ihre Mörder zu suchen waren, vor allem, weil die Art der Tötung auf professionelles Vorgehen schließen ließ. Beide waren mit einem Genickschuß praktisch hingerichtet worden. Die Aufklärung eines Mordes innerhalb des organisierten Verbrechens war fast aussichtslos, da man in der Regel bei den Befragungen auf eine Mauer des Schweigens stieß und ein Wort zuviel schon den Tod bedeuten konnte. Dennoch hatte sich vor einem Monat ein anonymer Anrufer bei der Kripo gemeldet und gesagt, daß ein gewisser Winzlow, weltweit anerkannter Kunstkenner und Museumsdirektor, zwei Morde in Auftrag gegeben habe und in einem seiner Häuser Waffen und Drogen deponiert seien. Außerdem gab er die Initialen der angeblich Ermordeten mit I. T. und N. B. an. Nach einer gründlichen Durchsuchung diverser Häuser, Wohnungen und Geschäftsräume waren tatsächlich Waffen und Drogen gefunden worden. Daraufhin nahm man Winzlow fest, mußte ihn aber nach vierundzwanzig Stunden wieder laufenlassen, da das Haus, in dem die Waffen und Drogen gefunden worden waren, verpachtet und Winzlow keine direkte Beteiligung nachzuweisen war, ebensowenig wie dem Pächter. Doch es stand in den nächsten Tagen eine Anhörung Winzlows an, in Anwesenheit seines Anwalts, eines Staatsanwalts und eines Richters.
Julia Durant brauchte eine halbe Stunde bis zum Präsidium. Sie stellte den Wagen im Hof ab, lief die Treppe hinauf, über den langen Gang, ihre Schritte hallten von den Wänden wider, und betrat ihr Büro. Hauptkommissar Berger saß bereits hinter seinem Schreibtisch, eine aufgeschlagene Akte vor sich. Er blickte auf, als die Kommissarin eintrat, und murmelte ein »guten Morgen«. Sie erwiderte denGruß, hängte ihre Tasche an den Kleiderhaken, nahm die Schachtel Zigaretten heraus, zündete sich eine an und setzte sich.
»Irgendwas Aufregendes gewesen am Wochenende?« fragte sie, während sie den inhalierten Rauch ausblies.
»Was verstehen Sie unter aufregend?«
»Ach, vergessen Sie’s. Was liegt heute an?«
»Schreibkram. Wir haben noch einige Akten aufzuarbeiten. Ich weiß, ich weiß, das ist nicht gerade Ihre Lieblingsbeschäftigung, aber irgendwann muß das auch mal gemacht werden. Tut mir leid.« Er machte eine kurze Pause und sagte dann: »Ach so, bevor ich’s vergesse, unser anonymer Anrufer im Fall Winzlow hat noch einmal angerufen und gesagt, daß die beiden nicht identifizierten Toten Mitglieder der Russenmafia waren.«
»Namen?«
»Nein, wieder nur die Initialen. Er sagt, er selbst kenne die vollständigen Namen nicht. Na ja, wer’s glaubt! Und er hat noch einmal betont, daß Winzlow den Auftrag zu deren Ermordung gegeben hat. Und außerdem habe Winzlow noch zwei Männer liquidieren lassen. Bevor ich unseren Anrufer etwas dazu fragen konnte, hatte er aber schon wieder aufgelegt.«
»Damit kommen wir nicht weiter. Womit wir die Sache wahrscheinlich wieder einmal zu den unerledigten Fällen legen können. An diesen Winzlow wird wohl kaum ranzukommen sein. Richtig?«
»Scheint so.« Berger zuckte mit den Schultern und lehnte sich zurück. Er nahm seine Tasse mit dem inzwischen kalten Kaffee vom Tisch, trank einen Schluck und sah die Kommissarin an. Sie erwiderte seinen Blick und dachte dabei, daß Berger alt und müde geworden war. Das war er aber vermutlich schon damals, vor mehr als zwei Jahren,als in Frankfurt mehrere Mädchen auf grausame Weise abgeschlachtet worden waren. Eigentlich hatte er, nachdem der Mörder gefaßt war, vorgehabt, sein Haus zu verkaufen, den Dienst zu quittieren und mit seiner Tochter nach Florida zu ziehen. Aber er hatte irgendwie den Absprung nicht geschafft, es offensichtlich nicht fertiggebracht, Frankfurt den Rücken zu kehren, der Stadt, in der seine Frau und sein Sohn begraben lagen. Noch immer besuchte Berger mindestens zweimal in der Woche den Friedhof, stellte frische Blumen in die Vase und fuhr dann nach Hause. Die Abende verbrachte er meist allein in dem für ihn viel zu großen Haus. Seine Tochter hatte das Abitur mit Bravour bestanden, jetzt besuchte sie die Polizeischule, um vielleicht eines Tages in die Fußstapfen ihres Vaters zu treten. Berger war dick geworden, sein Gesicht wirkte aufgedunsen, und Julia Durant fragte sich nicht zum ersten Mal, ob er nicht vielleicht ein Alkoholproblem hatte. Aber es war nicht ihre Aufgabe, im Privatleben ihres Vorgesetzten
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