Das achte Opfer
zog die Augenbrauen nach. Sie drückte ihre linke Hand gegen den Bauch, zog ihn ein und wünschte sich einmal mehr, einen richtig schönen, flachen Bauch zu haben. Einmal hätte es beinahe geklappt, ein kleiner Eingriff bei einem Arzt für plastische Chirurgie, doch leider stellte sich heraus, daß just jener Arzt ein langgesuchter Serienkiller war, der nicht nur in Frankfurt, sondern auch in den USA sein Unwesen getrieben hatte. Er wurde verhaftet und verurteilt, bevor er den Eingriff bei Julia Durant vornehmen konnte. Sie dachte immer wieder an jene bizarre Zeit, in der sie und ihre Kollegen scheinbarhilflos einem unheimlichen Phantom hinterherjagten und es nur einem Zufall zu verdanken war, daß der Mörder überführt werden konnte.
Sie hatte damals Freundschaft mit der Ehefrau des Killers geschlossen, die bis zum heutigen Tage anhielt. Zwar wohnte diese Frau die meiste Zeit des Jahres in ihrem Haus in Südfrankreich, doch sie schrieben sich, telefonierten, und ab und zu sahen sie sich auch. Schon zweimal war Julia Durant der Einladung von Susanne Tomlin gefolgt und nach Frankreich gefahren, und es war jedesmal eine schöne, erholsame Zeit gewesen. Auch für diesen Sommer waren vier Wochen Frankreich eingeplant, und Julia Durant hoffte nur, daß nichts Unerwartetes dazwischenkommen würde.
Sie ging zurück ins Schlafzimmer, öffnete den Kleiderschrank und stand einen Augenblick unschlüssig davor. Sie dachte an den Wetterbericht, entschied sich für Jeans, eine weiße Bluse und weiße Tennisschuhe. Sie zog sich an, ging in die Küche, aß wie fast jeden Morgen eine kleine Schüssel voll Cornflakes, trank danach eine Tasse Kaffee und zündete sich eine Gauloise an. Sie nahm die Tasse mit in den Wohnbereich, setzte sich an den Tisch, auf dem die Bibel und das gestern im Präsidium eingegangene anonyme Schreiben lagen. Sie überflog ein weiteres Mal die Zeilen, schüttelte den Kopf und sagte sich, daß es sich hier nur um einen Spinner handeln konnte. Und obwohl ihr Verstand auch erklärte, daß das Schreiben bedeutungslos war, so konnte sie sich einer gewissen inneren Unruhe nicht erwehren. Eine Unruhe, die sie kannte, immer dann, wenn Unterbewußtsein und Intuition ihr genau das Gegenteil vermittelten. Sie nahm einen tiefen Zug an der Zigarette, blies den Rauch langsam durch die Nase aus. Du spinnst, sagte sie zu sich selbst, stand auf und warf einen Blick zur Uhr, halb acht. In zehn Minuten mußte sie das Haus verlassen, wolltesie pünktlich um acht im Präsidium sein. Sie drückte die Zigarette aus, nahm das Handy von der Ladestation und steckte es zusammen mit dem Zettel in ihre Handtasche. Sie stellte die Tasse in die Spüle und wischte den Tisch ab. Ein letzter Blick durch die Wohnung, es wurde Zeit, daß hier mal wieder aufgeräumt und richtig saubergemacht wurde. Vielleicht heute abend, dachte sie und zog ihre Lederjacke an. Sie verließ die Wohnung, schloß hinter sich ab, ging die Treppe hinunter, zog die Zeitung aus ihrem Briefkasten, überquerte die Straße, öffnete die Wagentür und setzte sich ins Auto. Um eine Minute vor acht fuhr sie auf den Präsidiumshof.
Berger, Hellmer und Kullmer waren bereits im Büro. Zwei Fenster standen weit offen, der Lärm von der Mainzer Landstraße und vom Platz der Republik drang mit Macht in die Zimmer. Julia Durant hängte ihre Handtasche an den Garderobenhaken, nicht ohne vorher ihre Zigaretten herausgenommen zu haben. Sie setzte sich an ihren Schreibtisch, sah kurz auf den Aktenberg zu ihrer Linken, murmelte ein kaum hörbares »Scheiße« und nahm die oberste Akte. Berger kam zu ihr und fragte: »Was ist mit diesem Schenk, wann wollen wir ihn noch einmal verhören?«
Julia Durant blickte auf und sah Berger an, der rotunterlaufene Augen hatte und dessen Atem stark nach Alkohol roch. Sie lehnte sich zurück und zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung, von mir aus gleich, dann haben wir’s hinter uns. Was ist mit seiner Wohnung? Ist sie durchsucht worden?«
»Ja, und der Kerl hat mehr Dreck am Stecken, als wir ahnen konnten. Wir haben dreiundzwanzig Waffen bei ihm gefunden, darunter sechs Scorpion 7.65 mm, fünf Kalaschnikows und zehn 357er Magnum. Und zwei Kilo reines Heroinund unzählige andere unter das Drogengesetz fallende Medikamente. Und dazu noch ein Notizbuch mit allerhand Namen und Telefonnummern, von denen wir einige schon kurz überprüft haben. Allesamt Typen aus der Halbwelt, aber solange wir denen nichts nachweisen können … Na ja, Sie
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