Das achte Opfer
Wodka.
»Kein Laptop«, sagte sie, und es klang Mutlosigkeit aus ihrer Stimme. »Und ich bin doch sicher, daß es Anders war, der mich angerufen hat. Und daß die Schweiger bis jetzt nicht aufgetaucht ist, gibt mir auch zu denken. Schauen wir noch in den Schränken nach.« Und dann: »Nichts. Hier finden wir nichts. Gehen wir.«
»Und, haben Sie gefunden, wonach Sie gesucht haben?« fragte die junge Frau neugierig.
»Nein, leider nicht. Eine Frage, ist der Schreibtisch von Doktor Anders jederzeit für Sie zugänglich?«
»Nein, er schließt ihn jeden Abend ab, bevor er nach Hause geht. Warum?«
»Haben Sie oder irgend jemand anderes einen Schlüssel für den Schreibtisch?«
»Ich habe keinen, aber mit Sicherheit wird es irgendwo einen Zweitschlüssel geben.«
»Was ist mit Frau Doktor Schweiger? Ist sie inzwischen aufgetaucht?«
»Nein.«
»Dann müßten wir kurz mit ihrer Sekretärin sprechen.«
»Das habe ich bereits getan«, sagte die junge Frau. »Sie hat bei ihr zu Hause angerufen, aber dort nimmt niemand ab. Es ist nur der Anrufbeantworter eingeschaltet.«
»Können Sie uns die Adresse von Frau Doktor Schweiger geben?«
»Einen Moment«, sagte die junge Frau und blätterte in ihrem Adreßbuch. »Hier hab ich’s, Schweiger, Gottfried-Keller-Straße fünf in Kelkheim. Brauchen Sie auch die Telefonnummer?«
»Nein, die Adresse genügt. Vielen Dank für Ihre Hilfe«, sagte Hellmer.
Auf dem Flur sagte Hellmer: »Ob das Schreiben von gestern mit den beiden zu tun hat?«
Julia Durant zuckte mit den Schultern. »Wer weiß das schon?! Vielleicht, vielleicht aber auch nur mit einem von ihnen. Wir benachrichtigen kurz Berger und fahren dann nach Kelkheim. Anschließend würde ich gern einen Abstecher nach Hattersheim machen, um mit Frau Anders zu sprechen.«
Vom Auto aus telefonierte die Kommissarin kurz mit Berger. Als sie aufgelegt hatte, zündete sie sich eine Gauloise an, kurbelte das Fenster herunter. Hellmer startete den Motor und fuhr los. Er nahm die A 66 Richtung Wiesbaden,bog in die Abfahrt Liederbach. Er fuhr durch den langgestreckten Ort, der wie ein Dorf wirkte, bis er nach etwa fünf Kilometern das Ortsschild von Kelkheim passierte. Die Gottfried-Keller-Straße lag in einem Villenviertel, an dessen Grenze in einem Halbrund sechs fünfstöckige, weiße Neubauten in futuristischem Stil standen. Es war eine ruhige, friedliche Gegend. Vor dem Haus Nummer fünf hielten sie und stiegen aus. Sie gingen auf die Haustür zu, über der eine Überwachungskamera angebracht war. Sie klingelten bei Schweiger, doch es klang weder eine Stimme aus dem Lautsprecher, noch ertönte der Türsummer. Eine junge Frau mit zwei kleinen Kindern kam auf sie zu, holte den Schlüssel aus ihrer Tasche und schloß auf.
»Verzeihung, bitte«, sagte Hellmer und hielt ihr seinen Ausweis hin. »Wir kommen von der Kripo Frankfurt und würden gern mit reinkommen.«
»Zu mir?« fragte die Frau erschrocken.
»Nein, wir wollen in den fünften Stock, zu Frau Schweiger.«
»Macht sie nicht auf?«
»Wir haben geklingelt, aber . . .«
»Komisch, ich habe mich vorhin schon gewundert, daß ihr Wagen noch in der Tiefgarage steht. Sonst verläßt sie das Haus immer so gegen sieben. Ob ihr etwas zugestoßen ist? Daniel!« rief sie auf einmal, »bleib hier! Du weißt, du sollst nicht auf die Straße rennen. Komm bitte sofort zurück.« Der etwa fünfjährige Daniel trabte langsam zurück, die Hände tief in den Hosentaschen vergraben. »Kinder«, sagte sie nur und verzog die Mundwinkel. »Einen Augenblick nicht aufgepaßt und schon . . . Na ja, Sie wissen sicher, was ich meine.«
»Nur für den Notfall – wer ist der Hausmeister hier?«
»Sein Name ist Klinger, er wohnt in Nummer sieben, Parterre. Er müßte eigentlich zu Hause sein.«
»Danke. Wir werden dann mal nach oben fahren.«
Im fünften Stock gab es nur eine Wohnung, die von Oberstaatsanwältin Schweiger. Der Flur war mit Teppichboden ausgelegt, in die Wand eingelassene Lampen spendeten dezentes Licht. Hellmer legte erneut seinen Finger auf den Klingelknopf, und als sich nichts rührte, klopfte er kräftig gegen die Tür. Kein Lebenszeichen.
»Bleib du hier«, sagte er zu Julia Durant, »ich lauf schnell rüber zum Hausmeister und werde ihn bitten, die Tür zu öffnen.«
Er kehrte nach wenigen Minuten mit einem etwa vierzigjährigen Mann zurück. Der Hausmeister hatte freundliche Augen, er war groß, etwa einsneunzig und athletisch gebaut. Er hielt einen dicken
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