Das achte Opfer
fragte sie besorgt.
Hellmer nickte. »Wir würden gern mit Ihnen allein sprechen, wenn es geht.«
Frau Anders gab wortlos die Tür frei und ließ die Beamten eintreten. Sie sagte zu ihrer Tochter: »Geh bitte auf dein Zimmer, und laß uns allein.«
»Ist mit Papa was passiert?« fragte die Kleine.
»Das weiß ich nicht.«
Sie ging vor Hellmer und Julia Durant in das geräumige, hell eingerichtete Wohnzimmer, von wo aus man einen wunderbaren Blick über den kleinen Garten mit der Terrasse hatte. Die Kommissare blieben in der Mitte des Raumes stehen, bis Frau Anders sie bat, Platz zu nehmen. Hellmer und Durant setzten sich auf zwei nebeneinander stehende Sessel, während Frau Anders auf dem schräg gegenüberliegenden Sofa Platz nahm. Sie hielt die Beine eng geschlossen, hatte die Hände gefaltet und auf ihren Oberschenkeln liegen. Einen Moment schien sie ihre Finger zu betrachten, dann sah sie auf und die Beamten an.
»Sie kommen also von der Kripo Frankfurt«, sagte sie leise.
»Ich nehme an, Sie kommen mit keiner guten Nachricht, oder?«
Julia Durant hatte Mitleid mit der Frau, die es so gut verstand, ihre Gefühle einigermaßen unter Kontrolle zu halten, auch wenn sie das kaum merkliche Zittern nicht verbergen konnte.
»Frau Anders«, sagte Hellmer und beugte sich nach vorn, »wir müssen leider davon ausgehen, daß Ihr Mann nicht mehr am Leben ist.«
»Und woher wissen Sie das?« fragte sie und sah Hellmer mit traurigem Blick an. »Haben Sie ihn gefunden?«
»Nein, das nicht. Es wurde nur sein Wagen aufgefunden. Er war leer.«
»Das heißt, er könnte unter Umständen noch am Lebensein?« fragte sie, und in ihrer Stimme klang ein wenig Hoffnung mit.
»Das ist nicht sehr wahrscheinlich. Wir haben nämlich heute morgen die Leiche von Oberstaatsanwältin Schweiger gefunden . . .«
»Schweiger? Mein Gott, was ist passiert?«
»Sie wurde von demselben Täter ermordet, der auch schon . . .«
»Ich habe von den Fällen gehört . . .«
»Und neben ihrer Leiche fanden wir eine offensichtlich vom Täter stammende Nachricht, nach der auch Ihr Mann nicht mehr am Leben ist.«
Frau Anders schluckte schwer, sah geradeaus zur Wand, war nicht in der Lage, ihre Tränen zu unterdrücken.
»Ich habe es geahnt«, sagte sie mit belegter Stimme. »Ich habe es schon seit längerer Zeit geahnt, daß irgend etwas mit ihm nicht stimmt. Ich hatte einige Male in den letzten Wochen einen bestimmten Traum; Sie werden vielleicht lachen, aber ich bin überzeugt, daß Träume manchmal Botschaften enthalten. Ich wußte, es würde etwas passieren, doch ich wußte nicht, wann und wo und vor allem mit wem. Es hätte sich auch um eines unserer Kinder handeln können oder um mich. Bis vor ein paar Tagen, als der Traum mit einem Mal ganz klar wurde. Da wußte ich von der Gefahr, in der mein Mann schwebte. Ich träumte, ich stand auf einer Wiese, der Himmel war blau, die Sonne schien, doch vom Horizont näherte sich ziemlich rasch eine dunkle Wolkenwand. Gleichzeitig mit dieser Wolkenwand näherte sich auch ein Mann, den ich aus der Ferne nicht so genau erkennen konnte. Mit einem Mal begann es zu regnen, zu blitzen und zu donnern, und der Mann stand einen Augenblick vor mir, und ich meinte, sein Gesicht zu kennen, doch es war voller Blut, und sein Blick war so traurig. Ich wollteihm helfen, versuchte, ihn anzufassen, doch meine Hand ging durch ihn hindurch. Ich redete ihn an, aber er antwortete nicht, statt dessen ging er an mir vorbei. Ich drehte mich um, und er war verschwunden. Ich weiß noch, wie ich schweißgebadet aufwachte und mir erst dann in den Sinn kam, daß ich meinen Mann in diesem Traum gesehen hatte.« Sie hielt inne, ordnete ihre Gedanken, nahm ein Taschentuch vom Tisch, rieb sich über die Augen und putzte die Nase. »Entschuldigen Sie«, sagte sie, »aber ich weiß noch nicht, wie ich mit Ihrer Mitteilung umgehen soll. Von einem Tag auf den anderen hat sich mein Leben und das meiner Kinder geändert. Es wird nie mehr etwas so sein, wie es einmal war. Es ist so ungerecht, daß ausgerechnet er …!«
»Hat Ihr Mann über berufliche Dinge mit Ihnen gesprochen?« fragte Hellmer.
»Nur sehr selten«, erwiderte sie mit zittriger Stimme und umkrampfte das Taschentuch, als wäre es ein dickes Tau, an das sie sich festklammern konnte, während sie über einem tiefen Abgrund hing. »In den letzten Tagen und Wochen aber hat sich das geändert. Er wirkte zunehmend nervöser und unruhiger, er war irgendwie nicht mehr fähig, auch
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