Das achte Opfer
Anders’ gerechnet. Wenn wir nur diese verdammten Informationen hätten!«
Berger stützte sich auf den Schreibtisch, schob der Kommissarin einen Zettel zu. »Hier«, sagte er, »das ist das Schreiben von vorhin. Es kam mit der normalen Post.«
»Dann bestrafe ich den Erdkreis für seine Verbrechen und die Bösen für ihre Vergehen. Dem Hochmut der Stolzen mache ich ein Ende und werfe die hochmütigen Tyrannen zu Boden.«
Sie hielt das Schreiben einen Moment in der Hand, überlegte. Sie zündete sich eine Zigarette an.
»Darf ich mal sehen?« fragte Hellmer, worauf die Kommissarin ihm wortlos den Zettel gab.
»Was lest ihr daraus?« fragte Hellmer. »Welches Wort hat eine Bedeutung? Ich meine, welches deutet auf das nächste Opfer hin? Tyrann?«
»Wahrscheinlich«, erwiderte Julia Durant. »Doch wer ist dieser Tyrann? Oder noch anders gefragt – was ist ein Tyrann? Haben wir ein Wörterbuch hier?« fragte sie.
»Wenn ein Duden reicht«, sagte Berger. »Dort im Schrank.« Sie stand auf, holte den Duden heraus, las laut vor: »Tyrann. Gewaltherrscher. Jemand, der seine Macht über andere streng und rücksichtslos zur Geltung bringt.« Sie schlug den Duden wieder zu, stellte ihn zurück in den Schrank. Sie setzte sich wieder, schüttelte den Kopf. »Es macht keinen Sinn. Gewaltherrscher!«
»Was ist«, sagte Hellmer, »wenn dieses Wort nur symbolisch gemeint ist? Daß es zum Beispiel auf jemanden gemünzt ist, der herrscht, der über andere regiert und alles, was seinem Ressort unterliegt, kontrolliert? Ein mächtiger Direktor oder Unternehmer, vielleicht sogar, so absurd sich das anhören mag, jemand aus der Politik? Ein Minister oder ein Bundestagsabgeordneter? Oder der Generalstaatsanwalt?«
Berger sah Hellmer ernst an. Er sagte: »Das sind Hypothesen, werter Kollege. Außerdem bin ich gerade vorhin von unserem Generalstaatsanwalt angerufen worden. Er dringt mit aller Macht darauf, daß alle verfügbaren Kräfte und Hilfsmittel eingesetzt werden, damit diese Fälle geklärt werden. Er will auch, daß das LKA in die Untersuchungen einbezogen wird. Er hat außerdem Verbindung mit dem Innen- und Justizminister aufgenommen. Sie sagen, sie werden alle nur denkbare Hilfe zur Verfügung stellen, damit der Mörder so schnell wie möglich gefaßt werdenkann. Außerdem hatte jedes unserer bisherigen Opfer auf eine gewisse Weise Macht inne. Ob das nun Matthäus war oder Neuhaus oder Schweiger . . .«
»Richtig, sie hatten Macht. Und sie haben diese Macht mißbraucht. Selbst Mondrian, der ›nur‹ ein Sänger war, hatte Macht. Die Kids lagen ihm zu Füßen, er war in Deutschland, Österreich und der Schweiz ein Superstar. Aber hier wird von einem Tyrannen gesprochen, einem Menschen, dem anscheinend jedes Mittel recht ist, sein Ziel zu erreichen. Es muß jemand sein, der eine überaus bedeutende Position innehat. Gegen den Matthäus oder Neuhaus vielleicht nur kleine Fische waren.«
»Warten wir’s ab«, sagte Berger. »Mehr können wir im Augenblick nicht tun. Warten wir auf die anderen Kollegen, dann werden wir sehen, ob es neue Erkenntnisse bei der Computerauswertung gibt oder im Fall Schnell. Ich muß jetzt jedenfalls mal für kleine Jungs.«
Freitag, 14.30 Uhr
Er war drei Stunden im Büro gewesen, um ein paar Briefe zu unterschreiben, seiner Sekretärin einige Anweisungen zu geben, und hatte sich danach noch mit zwei seiner Kollegen besprochen. Auf dem Weg nach Hause hörte er diesmal nicht »La Mer« von Debussy, sondern die vierte Sinfonie von Tschaikowsky. Als er den Jaguar durch die Toreinfahrt lenkte und vor dem Haus parkte, blieb er noch einen Moment im Auto sitzen und dachte über den folgenden Abend nach. Er hatte alles perfekt vorbereitet, ihm war bis jetzt kein Fehler unterlaufen, und er war sicher, auch diesmal würde alles nach Plan funktionieren. Er lächelte, alser ausstieg, die Stufen zum Haus hinaufging, aufschloß und die Eingangshalle betrat. Er begrüßte kurz Anna und seine Frau, die diesmal nicht in ihrem Sessel saß, sondern am Fenster stand und auf den sonnenüberfluteten Garten sah. Danach ging er in sein Arbeitszimmer, stellte den Aktenkoffer ab, nahm den Hörer vom Telefon und führte ein kurzes Telefonat.
»Ja«, sagte er zum Abschluß, »ich werde um Punkt halb neun im Hotel sein.«
Er holte ein Blatt Papier aus dem Schreibtisch, schrieb einen Brief an Julia Durant. Er steckte ihn in einen Umschlag, klebte ihn zu, schrieb ihre Adresse darauf. Danach ging er zurück ins
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