Das achte Opfer
Drecksarbeit überließ. Sie wählte seine Nummer, erstattete einen knappen Bericht. Bergers Stimme war schwer, wahrscheinlich hatte er wieder einmal zuviel getrunken. Sie fragte sich, wie lange er das noch durchstehen würde und was der Grund für seinen übermäßigen Alkoholkonsum war. Sie vermutete, daß es die Spätfolgen des tragischen Todes seiner Frau und seines Sohnes waren und vielleicht auch die Tatsache, daß Andrea, seine einzige Tochter, inzwischen erwachsen war und sich demzufolge auch nicht mehr allzuoft zu Hause aufhielt. Sie beendete das Gespräch nach einer Minute; sie hatte keine Lust, länger mit Berger zu reden.
»Okay«, sagte sie und steckte das Handy in ihre Handtasche. »Dann machen wir uns mal auf den Weg zu Frau Matthäus und bringen ihr die freudige Botschaft.«
»Scheiße«, erwiderte Hellmer und verzog die Mundwinkel.
»Bei der Kripo zu sein ist doch echt was Schönes.«
»Du hast es erfaßt. Er wohnt übrigens in Niederrad, Nansenring.«
Bevor sie sich von den Männern der Spurensicherung und dem Arzt verabschiedeten – die Bestattungsleute waren gerade damit beschäftigt, den Toten in einen Leichensack zu stecken –, sagte die Kommissarin zu einem der Streifenbeamten, daß das Büro nach Abschluß aller Arbeiten versiegeltwerden sollte. Der Polizeifotograf hatte einige Bilder sowohl vom Toten als auch vom Zimmer mit einer Spiegelreflex- und einer Polaroidkamera gemacht und danach alles noch videografiert, jetzt packte er seine Ausrüstung zusammen und würde ebenfalls gleich in sein Labor fahren und die Filme entwickeln lassen. Er stieg zusammen mit Hellmer und Durant in den Aufzug, der sich fast geräuschlos nach unten bewegte. Der Pförtner saß noch immer hinter seiner dicken Glasscheibe. Julia Durant ging zu ihm hin, hielt ihren Ausweis hoch.
»Ist Ihnen heute nachmittag zwischen vier und fünf irgend jemand aufgefallen, jemand, den Sie zum Beispiel noch nie hier gesehen haben?« fragte sie.
»Hier kommen jeden Tag so viele Leute.«
»Aber muß man sich bei Ihnen nicht anmelden, wenn man etwa zu Doktor Matthäus will?«
»Eigentlich schon . . .«
»Aber?«
»Nun, nicht jeder, der zu Doktor Matthäus will oder wollte, mußte diesen Eingang nehmen. Da die Schalterhalle bis vier geöffnet ist, besteht auch die Möglichkeit, von dort in jedes beliebige Stockwerk zu gelangen.«
»Wie?«
»Nun, Sie brauchen nur durch die Halle zu gehen und in den Aufzug zu steigen. Er bringt Sie in jedes gewünschte Stockwerk.«
»Das heißt also, während der Schalteröffnungszeiten kann im Prinzip jeder quasi unbemerkt . . . Scheiße! Entschuldigung. Und vielen Dank für Ihre Hilfe.« Julia Durant wandte sich Hellmer zu. »Hast du das gehört? Und diese Schalterhalle ist alles andere als klein. Da kannst du wirklich unbemerkt durchgehen, und keiner merkt was!«
»P. g. – Pech gehabt.«
»Komm, ziehen wir’s durch.«
Sie gingen schweigend zu ihren Autos. Der schwerste Teil des Abends lag noch vor ihnen.
Sie trafen um genau einundzwanzig Uhr im Nansenring ein und hielten vor dem Haus von Dr. Matthäus. Dunkelheit hatte sich über die Stadt gelegt, ein leichter, kühler Wind vom Taunus hatte die Luft gereinigt, der nächtliche Himmel war übersät von unzähligen glitzernden Punkten. Die Kommissarin hatte sich eine Gauloise angezündet, die fünfte oder sechste innerhalb der letzten Stunde, und lehnte sich an ihren Wagen. Hellmer stieg aus seinem Ford aus, stellte sich neben Julia Durant. Auch er zündete sich eine Zigarette an. Eine Weile standen sie schweigend nebeneinander, dann fragte Hellmer: »Nervös?«
Sie lachte kurz auf. »Nervös? Wie kommst du denn darauf? Ich mache das seit meiner Kindheit jeden Tag ein paarmal, es ist für mich zur blanken Routine geworden, Angehörigen mitzuteilen, daß einer von ihnen umgebracht wurde! Oder sollte ich besser sagen – abgeschlachtet?«
»Soll ich das für dich erledigen?«
»Mir egal. Ich denke, ich werd’s schon schaffen. Zuletzt habe ich so etwas vor mehr als zwei Jahren machen müssen.« Sie seufzte, schnippte die Asche auf die Straße, nahm einen weiteren tiefen Zug. »Du kannst dich bestimmt noch erinnern, die Sache mit unserem Mädchenmörder. Das war tatsächlich das letzte Mal, daß ich Todesnachrichten überbracht habe. Man weiß einfach nie, was man genau sagen soll. Ich habe immer das Gefühl, im ungeeignetsten Moment das Falsche zu sagen. Vor allem, wenn es sich um ›solche‹ Leute handelt.«
»Was ist an
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