Das achte Opfer
Gerichtsmedizin bringen, denn ich nehme an, Sie wollen so rasch wie möglich ein Untersuchungsergebnis auf dem Tisch haben.«
»Wenn’s geht, ja. Es handelt sich hier schließlich nicht um irgendwen, sondern um den Direktor der größten Bank in der Region. Das allein wird schon für reichlich Aufsehen sorgen. Zumindest hat die Boulevardpresse mal wieder so richtig schöne Schlagzeilen«, sagte sie und blickte Hellmer an. »Drei bis dreieinhalb Stunden bedeutet, daß er«, sie blickte zur Uhr, zehn vor acht, »zwischen Viertel nach vierund Viertel vor fünf getötet wurde. Aber um diese Zeit müssen noch etliche Angestellte auf dieser Etage gearbeitet haben. Das heißt dann auch, daß der Mörder zum einen mit einer unglaublichen Kaltblütigkeit vorgegangen ist oder daß er sich genau die Anwesenheit der anderen zunutze gemacht hat. Zeig mir doch mal, wer von denen da draußen ihn gefunden hat.«
Hellmer deutete auf die junge Frau, die noch immer auf dem Boden kauerte. Julia Durant ging zu ihr hin und fragte sie: »Sie haben Doktor Matthäus gefunden?«
»Ja.«
»Ich habe ein Frage – war die Tür offen oder zu?«
»Sie war zu – ja, sie war zu.« Ihr verheultes Gesicht wurde noch verstörter. »Stimmt, sie war zu; sonst steht sie immer offen. Und außerdem hing ein Schild an der Klinke ›Bitte nicht stören‹. So ein Schild, wie man es in Hotels an die Tür hängen kann. Es ist immer noch da. Sehen Sie selbst. Ich habe geklopft, gewartet, noch mal geklopft, und als keine Antwort kam, habe ich die Tür aufgemacht. Und da fand ich ihn.«
Durant drehte sich um, sah das Schild, sagte danke und kehrte zum Büro von Dr. Matthäus zurück.
»Hast du das schon gesehen?« fragte sie Hellmer und deutete auf die Türklinke.
»Nee, hab ich nicht. Das würde aber erklären, warum keiner etwas von dem Mord mitbekommen hat. Wenn der große Boß nicht gestört werden möchte, dann wird er auch nicht gestört. Und wer immer ihn besucht hat, hat nach seiner Tat das Büro verlassen, und keiner, das wette ich, hat irgendwas Außergewöhnliches beobachtet. Ganz schön clever, muß ich sagen. Auf der anderen Seite glaube ich jetzt, daß Matthäus seinen Mörder gekannt hat, anders kann ich es mir nicht erklären. Wahrscheinlich hat Matthäus selber das Schild an die Klinke gehängt.«
»Das mag durchaus stimmen. Wer immer ihn gekillt hat, wußte genau, wann der günstigste Zeitpunkt dafür war. Und trotzdem zeugt es von einer unglaublichen Dreistigkeit und Kaltblütigkeit. Jetzt ist mir auch klar, warum der Täter bestimmte Seiten aus dem Terminkalender entfernt hat. Tu mir einen Gefallen, sag bitte dem Reinigungspersonal, daß keine Details an die Presse weitergegeben werden dürfen. Wenn möglich, sollten sie mit überhaupt niemandem darüber reden. Und übrigens, hast du hier irgendwo einen Aktenkoffer gesehen?«
»Nee. Warum?«
»Er hat weder ein Portemonnaie noch eine Brieftasche bei sich.«
»Und woher wissen wir dann, daß es sich bei dem Toten um Doktor Matthäus handelt?«
Julia Durant verzog für einen Moment den Mund zu einem Lächeln. »Wer sollte es sonst sein? Außerdem deutet alles darauf hin, hier, die rausgerissenen Seiten aus dem Terminkalender, und schau dir seinen Anzug an, maßgeschneidert!«
»War auch nicht so ernst gemeint. Ich geh mal raus und instruiere das Personal«, sagte Hellmer.
Julia Durant kam hinter dem Schreibtisch hervor, steckte den Zettel in die Tasche und ging in das Büro von Elisabeth Klinger, der Sekretärin von Dr. Matthäus. Sie schien eine überaus korrekte und zuverlässige Person zu sein, ihre Ablagekörbe waren fast leer, die Aktenschränke abgeschlossen, genau wie der Schreibtisch, auf dem neben einer Halogenlampe noch ein Bild stand, das offensichtlich ihren Mann und die beiden Söhne zeigte, die sie auf fünfzehn bis zwanzig Jahre schätzte, womit Frau Klinger aller Wahrscheinlichkeit nach mindestens Anfang bis Mitte Vierzig sein mußte. Der Computermonitor und die Tastaturwaren abgedeckt, auf dem Fensterbrett standen gepflegte Grünpflanzen, eine bis fast zur Decke reichende Yuccapalme ragte in einem Hydrokulturtopf zwischen Aktenschrank und Tür auf. Sie würde die Frau morgen befragen, heute stand noch die unangenehme Aufgabe bevor, den Angehörigen von Dr. Matthäus die Todesnachricht zu überbringen. Sie haßte diesen Gang, den sie lieber anderen überlassen hätte. Berger zum Beispiel, der mit seinem fetten Hintern im Büro hockte und den anderen die
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