Das achte Tor
öffnen.
»Was machst du da, verdammt noch mal?«, regte sich Shaé auf. »Ich hab dir doch gesagt, dass …«
Und wieder ertönte Geheul.
Ganz nah.
Es schwoll mächtig an, bis es einen unglaublich wilden Ton erreicht hatte, der über eine Minute anhielt, dann langsam wieder abklang und verstummte.
Shaé verdrückte sich in eine Ecke, so weit wie möglich weg von Tür und Fenster.
»Ist das … ist das ein Wolf?«, fragte sie, obwohl sie die Antwort auf ihre Frage kannte.
»Nein, ich fürchte, was Schlimmeres.«
»Das Monster, von dem du mir im Auto erzählt hast?«
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Shaés Stimme war nur noch ein Murmeln.
»Das wäre schwierig. Sagen wir, eher einer seiner Brü-
der.«
Während er redete, untersuchte Nathan die Hütte. Die Wände und das Dach waren aus Beton, die Tür aus Stahl, und wenn das Schloss nichts taugte, würde die Eisenstange jegliches Eindringen verhindern. Ob Werwolf oder nicht, sie hatten nichts zu befürchten.
»Ich … ich … ich halte es nicht aus, eingeschlossen zu sein«, stammelte Shaé.
Sie war auf den Boden gerutscht, hatte die Knie angezogen und hielt sie mit den Armen fest umschlossen.
Nathan hockte sich neben sie und legte seine Hand auf ihren Arm.
»Fass mich nicht an!«, schrie sie.
Als Echo auf ihren Schrei erhob sich das Geheul des Lykanthropen ein drittes Mal, in unmittelbarer Nähe.
Nathan sprang auf, schnappte sich das erstbeste Werkzeug, eine Spitzhacke, und ging in Stellung. Shaé kauerte sich zitternd in die Ecke.
Ein heftiger Schlag erschütterte die Tür, dann folgte ein furchterregendes Knirschen, als die Krallen des Tiers über das Metall schabten. Man hörte ein wildes Grollen, dann schwere Schritte, und plötzlich schnellte ein muskulöser Arm durch das Fenster.
Nathan schlug mit der Spitzhacke zu.
Sie traf den Werwolf am Ellenbogen. Wieder ertönte ein Schrei, diesmal vor Schmerz, und der Arm verschwand.
Nathan sah sich um, womit er das Fenster verriegeln könnte. Es war zwar zu klein für das Monster, um hin-111
einzugelangen, aber es könnte die Eisenstange, die die Tür verschloss, wegschlagen. Und wenn er hineinkäme …
Nathan fluchte, weil er nichts sah, und wühlte in den Werkzeugen. Er glaubte, vorhin einen Blechkanister entdeckt zu haben, der die passende Größe hatte, aber er fand ihn jetzt nicht mehr.
»Kannst du mir vielleicht mal helfen?«, rief er Shaé zu, die immer noch fertig war.
Sie antwortete mit einem heiseren Brummen, so dass er sich umdrehte. Nathan wusste, dass manche Personen unter Klaustrophobie litten, und dass diese Angst, je nach Schwere, als regelrechte Krankheit angesehen wurde. Mit einem Mal wurde ihm bewusst, wie eng diese Hütte war.
Wenn Shaé unter Klaustrophobie litt, musste das hier für sie die reinste Folter sein.
»Wird es gehen?«, fragte er so freundlich wie möglich.
Und wieder dieses heisere Brummen. Fast animalisch.
Nathan näherte sich tastend der dunklen Masse in der Ecke, in der Shaé kauerte.
»Wir müssen durchhalten«, sagte er beruhigend. »Versuch doch …«
Hinter sich vernahm er ein heftiges Grollen. Nathan konnte sich nur mit knapper Not schützen. Der Arm des Werwolfs, der durchs Fenster geschossen kam, verfehlte sein Ziel knapp. Die Krallen des Monsters bohrten sich in seine Schulter, aber nicht in die Kehle.
Der Schlag warf Nathan zu Boden, sein Kopf schlug gegen die Betonwand, und für einen Moment voller Panik spürte er nur noch Schmerz. Er war unfähig, klar zu denken, und sah, wie die Finger des Lykanthropen 112
nach der Eisenstange griffen, die die Tür verbarrikadierte.
Obwohl er wusste, wie nutzlos das war, richtete er sich mühsam wieder auf, als ein schwarzes Etwas mit einem wilden Schrei über ihn sprang.
Shaé.
Nein, nicht Shaé.
Das war kein junges Mädchen.
Nicht mal ein menschliches Wesen.
Ein schreckliches, kräftig gebautes Tier mit einem furchterregenden Maul und imposanten Reißzähnen. Ein Maul, das sich um den Arm des Werwolfs schloss und dessen Knochen zermalmte. Ein ekliges Geräusch. Das Monster brüllte vor Schmerz und schlug wütend um sich. Es gelang ihm schließlich, sich zu befreien, und es verschwand in der Nacht.
Das Tier, das ihn in die Flucht geschlagen hatte, richtete jetzt seine leuchtend gelben Augen auf Nathan, der ausgestreckt am Boden lag. Ein bedrohliches Fauchen drang aus dem Maul des Tieres.
Nathan hatte ein flaues Gefühl im Magen.
Er kannte diese kräftigen Kiefer, die zu den stärksten unter den fleischfressenden
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