Das achte Tor
Nathan mit Nachdruck. »Das haben die Helluren angerichtet!«
Barthélemys Aufmerksamkeit fokussierte sich auf ihn, so intensiv und präzise wie ein Laserstrahl.
»Die was?«
»Die Männer im Anzug, die mich seit Kanada verfolgen, diejenigen, die ihr heute Morgen in die Flucht geschlagen habt. Sie …«
»Wie hast du sie genannt?«
Nathan biss sich auf die Zunge. Barthélemy hatte ihm das Leben gerettet und gehörte zur selben Familie. Und obwohl er ganz offensichtlich das Vertrauen seines Vaters genossen hatte, sträubte sich Nathan, ihm das seine zu schenken.
Er hatte zu lange alleine gelebt. Auch als seine Eltern noch am Leben waren.
Doch es war zu spät, den Rückwärtsgang einzulegen.
»Es sind Helluren. Zumindest glaube ich das.«
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»Helluren …«
»Ja. Kreaturen, die …«
»Ich weiß, was Helluren sind«, unterbrach ihn Barthélemy, »auch wenn ich diesen Namen seit meiner Kindheit nicht mehr gehört habe. Was mich wundert, ist, dass du sie erkennen konntest. Die Helluren sind seit über fünfhundert Jahren nicht mehr in Erscheinung getreten. Und dein Vater hatte es übrigens nicht eilig, dich darüber zu informieren, wer sie sind. Zumindest nicht, als ich ihn das letzte Mal getroffen hatte.«
Dann verstummte Barthélemy, als er plötzlich realisierte, dass Shaé ihn beobachtete und jedes seiner Worte in sich aufsog.
»Es wäre sicherlich besser, wenn Sie im Salon auf uns warten würden«, sagte er höflich, aber bestimmt.
Nathan intervenierte in dem Augenblick, als sie aufstand.
»Shaé kann hierbleiben, sie weiß über die Helluren ebenso Bescheid wie ich.«
»Tatsächlich?«
»Ja, ich habe ihr alles erzählt. Und da ist noch etwas.«
»Ich bin ganz Ohr.«
Ein eigenartiges Leuchten war in Barthélemys Augen getreten. Nathan zögerte, wollte fast einen Rückzieher machen, aber dann überlegte er es sich anders. Er musste ihm vertrauen. Das war die einzige Möglichkeit, um den Nebel, der ihn umgab, zu lichten – und die einzige Möglichkeit, um mit Shaé zusammenzubleiben.
»Die Helluren haben genauso hartnäckig versucht, Shaé umzubringen, wie sie mich verfolgten. Ich weiß nicht, weshalb sie hinter mir her sind, aber eins ist sicher: Sie haben an ihr ein ebenso großes Interesse wie an mir.«
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»Das ist in der Tat seltsam, und das ändert die Situation, aber das erklärt mir keineswegs, wieso du weißt, dass es sich um Helluren handelt.«
Barthélemy akzeptierte offenbar die Anwesenheit von Shaé. Nach kurzem Zögern erzählte Nathan seine Geschichte nun von Anfang an und ließ diesmal weder den Lykanthropen aus noch die innere Stimme, die er immer wieder vernahm und die ihm genaue Informationen über die Gefahren lieferte, in denen er sich befand.
Barthélemy stützte sein Kinn auf die Hände und hörte Nathan zu, ohne ihn zu unterbrechen. Als die Erzählung zu Ende war, spielte ein wehmütiges Lächeln um seine Lippen.
»Diese Stimme ist ein Vermächtnis deiner Mutter«, sagte er.
»Wieso?«
»Dir alles zu erklären wäre zu umfangreich und würde zu lange dauern. Zu viel, um jetzt darauf einzugehen.«
Er warf einen Blick auf Shaé.
»Und manche Geheimnisse müssen bewahrt werden.
Abschließend solltest du jedoch wissen, dass du zwar zur mächtigsten Familie gehörst, dass es aber noch andere gibt, die seit Jahrhunderten versuchen, uns die Vor-machtstellung streitig zu machen. Sechs weitere Familien. Diese Rivalen, die verschwunden oder sehr geschwächt sind, stellen heute für uns keine Gefahr mehr dar. Das war nicht immer so. Noch vor nicht allzu langer Zeit gab es Auseinandersetzungen, die häufig blutig en-deten.«
»Was hat meine Mutter damit zu tun?«, fragte Nathan verwundert.
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»Dazu komme ich gleich. Du weißt, dass dein Vater kurz vor deiner Geburt auf Distanz zur Familie ging. Du weißt sicher nicht, dass dies wegen deiner Mutter geschah.«
»Aber …«
»Deine Mutter gehörte zu einer rivalisierenden Familie.
Eine derjenigen, die uns die meisten Schwierigkeiten gemacht haben. Als deine Eltern sich kennenlernten, hatte die Familie deiner Mutter weder Lust noch die Möglichkeiten, uns Schaden zuzufügen, aber die Traditionen sind unerbittlich. Dein Vater musste sich entscheiden.«
Barthélemy hielt inne, und auch Nathan schwieg einen Moment. Ihm lief ein kalter Schauder über den Rücken, als er von einem quasi Unbekannten Einzelheiten aus dem Leben seiner Eltern erfuhr, von denen er bisher nichts gewusst hatte.
»Und die Stimme?«, fragte
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