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Das achte Tor

Das achte Tor

Titel: Das achte Tor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: bottero
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Wohnung meines Großvaters oberhalb des Marsfeldes liegt«, erklärte er.
    »Hast du vor, ihn zu besuchen?«, fragte Shaé plötzlich beunruhigt.
    »Nein«, antwortete Nathan in ernstem Ton, »natürlich nicht. Ich weiß übrigens nicht, wo seine Wohnung genau liegt. Ich will nur … den Ort spüren.«
    »Den Ort spüren?«
    »Das Leben verläuft manchmal in unerwarteten Bahnen. Nach dem Tod meiner Eltern hätte Barthélemy mich eigentlich aufnehmen sollen. Dann hätte ich meinen Großvater besucht und vielleicht mit ihm zusammen hier gewohnt. Ein Sandkorn auf der Strecke, und plötzlich ändert sich die Richtung und es geht um die Kurve.
    Jetzt bin ich ein Abenteurer, der von demselben Großvater gejagt wird wie ein gewöhnliches Wildschwein.«
    Shaé blieb stehen und starrte ihn an.
    »Und ich, bin ich das Sandkorn?«
    Er sagte mit zärtlichem Blick:
    »Nein, du bist die Kurve. Eine verdammt schöne Kurve.«

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7
    ie Bibliothek von Valenciennes lag in einer breiten, D geraden Straße, zwischen einer alten Kirche und einem imposanten Gebäude mit kunstvoll gearbeiteter Fassade. Sie war keines dieser modernen Bauwerke aus Glas und Stahl, sondern ein massiver, mehrere hundert Jahre alter roter Backsteinbau, drei Stockwerke hoch und mit einem Schieferdach gedeckt.
    »Sie könnten ruhig früher aufmachen«, brummte Shaé und sah auf die Uhr. »Zehn Uhr! Findest du das normal?«
    Nathan trank erst einen Schluck Kaffee, bevor er antwortete.
    »Im Gegenteil, ich finde, wir haben Glück: dienstags und donnerstags ist die Bibliothek nur nachmittags geöffnet und am Montag ganz geschlossen. Und ich mache dich darauf aufmerksam, dass es nicht mehr regnet!«
    »Genial!«, sagte Shaé spöttisch. »Du hast noch vergessen hinzuzufügen, dass niemand unseren Zug in die Luft gesprengt hat, dass uns bei unserer Ankunft in der fremden Stadt mitten in der Nacht niemand angegriffen hat und dass der Sturm, der gerade das halbe Land verwü-
    stet, es noch nicht bis hierher geschafft hat.«
    Nathan zwinkerte ihr zu. Auch er hatte, wie sie, die Nachrichten im Radio gehört. Die dramatischen Ereignisse, die sich in den letzten Tagen mit wachsender Geschwindigkeit abgespielt hatten, die Attentate, Klimaka-276

    tastrophen, Epidemien, Konflikte und Erdbeben hatten ihm Bauchschmerzen bereitet, doch er weigerte sich, an etwas anderes zu denken als an ihr Projekt.
    Sie hatten die Nacht in einem Hotel in der Nähe des Bahnhofs verbracht und saßen jetzt in einem Café, zehn Meter vom Eingang der Bibliothek. Seit über einer Stunde warteten sie darauf, dass sie aufmachte.
    »Findest du es nicht seltsam, dass die Geschichte der Familien in diesen, wie sagst du, in diesen Inkunabeln steht?«, fragte Shaé, eher um das Thema zu wechseln als von echten Zweifeln getrieben zu sein. »Was sind das eigentlich für Dinger?«
    »Inkunabeln sind Bücher, die vor 1500 gedruckt wurden. Sozusagen die ersten gedruckten Texte. Sie sind unglaublich wertvoll. Das berühmteste ist Die Bibel von Gutenberg.«
    »Gutenberg, der Typ, der …«
    »… die Buchdruckerkunst erfunden hat, genau«, lächelte Nathan. »Was deine Frage zur Geschichte der Familien angeht, so bin ich sicher, dass es Dokumente gibt, in denen sie erwähnt werden, vor allem, da sie mindestens so alt sind wie die besagten Inkunabeln.«
    »Und weshalb Valenciennes?«
    »Weil die Bibliothek von Valenciennes einen unglaublichen Fundus an Inkunabeln besitzt.«
    Shaé verzog ihr Gesicht.
    »Dann verbringen wir jetzt einen Monat damit, alte, verstaubte Bücher zu wälzen? Super.«
    »Weniger als einen Monat, hoffe ich«, antwortete Nathan. »Es gibt einhundertsechsunddreißig Inkunabeln in Valenciennes. Kein Stück mehr.«

    277

    Shaé sah ihn mit großen, runden Augen an und gab dann ein anerkennendes Pfeifen von sich.
    »Wieso weißt du das alles? Noch so eine Fähigkeit der Familie?«
    Nathan musste lachen.
    »Nicht unbedingt. Ich habe im Hotel einen Prospekt gefunden und ihn durchgelesen, während du im Bad warst. Komm, sie machen auf!«
    Nathan bezahlte die Rechnung, nahm das Schwert im Seidenetui und den kleinen Rucksack, den er am Vorabend gekauft hatte. Sie überquerten die Straße und betraten dann durch eine dunkle Holztür einen riesigen, glasüberdachten Lichthof. Auf halber Höhe befand sich eine breite Galerie mit sorgfältig sortierten Regalen.
    Hinter dem Empfangstresen empfing sie eine freundliche Dame mit grauen, zum Dutt aufgesteckten Haaren.
    »Wir würden gerne die Inkunabeln

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