Das Achtsamkeits Buch
seinen Gefühlen und Gedanken beherrscht wird.
Auf der ersten Stufe der Praxis wird man sich immer mehr seiner Gefühle und inneren Reaktionen bewusst. Die ersten Monate können schmerzhaft werden, wenn einem zunehmend klar wird, was man wirklich macht. Das erschreckt, führt aber auch zum Wunsch, diese Mechanismen zu unterbrechen und den Weg weiter zu gehen.
Die zweite Stufe beginnt meist im zweiten bis fünften Jahr der Praxis, wenn es möglich wird, speziell auch die emotionalen Erfahrungen in ihre einzelnen körperlichen und mentalen Komponenten zu zerlegen. Es entwickeln sich der Wunsch und die Fähigkeit, genauer hinzuschauen. Der Übergang von der ersten zur zweiten Stufe ist nach Joko Beck der schwierigste. Therapie kann dabei helfen, wenn sie das Gewahrsein stärkt.
Auf der dritten Stufe tauchen Momente ohne selbstzentrierte Gedanken auf, Augenblicke des reinen Gewahrseins. Nach vielen Jahren der Praxis wird es auf der vierten Stufe immer selbstverständlicher, in einem Zustand des »reinen Gewahrseins« zu leben, statt von Gedanken und Konzepten dominiert zu werden. Auf Stufe fünf lebt man 80 bis 90 Prozent seines Lebens in diesem Zustand. Mitgefühl und Wertschätzung des Lebens sind erstarkt. Theoretisch, meint Joko Beck, gebe es noch eine sechste Stufe : Die Stufe der Buddhaschaft.
Woran erkennt man Fortschritte in der Praxis?
Es gibt verschiedene Fragebögen (Abkürzungen siehe anschließenden Exkurs) zur Messung von Achtsamkeit. Baer und Kollegen (2006) haben fünf Facetten von Achtsamkeit herausgearbeitet, im Folgenden einige beispielhafte Fragen (übersetzt von den Autoren).
1. Nicht-Reagieren auf innere Erfahrung.
– Ich nehme meine Gefühle wahr, ohne auf sie reagieren zu müssen (FFA 18).
– In schwierigen Situationen kann ich innehalten (FFA 26).
– Normalerweise, wenn ich belastende Gedanken habe, beobachte ich sie einfach und lasse sie wieder los (MQ 10).
2. Beobachten, Bemerken, Aufmerksamkeit gegenüber Empfindungen, Wahrnehmungen, Gedanken und Gefühlen.
– Ich spüre in meinen Körper hinein, sei es beim Essen, Kochen, Putzen, Reden (FFA 3).
– Ich nehme wahr, wie sich meine Gefühle im Körper ausdrücken (FFA 6).
– Ich beobachte, wie sich meine Gefühle auf meine Gedanken und mein Verhalten auswirken (KIMS 37).
3. Handeln mit Bewusstheit bzw. automatisch, Konzentration, Nicht-Ablenkbarkeit.
– Ich lasse mich von meinen Gedanken und Gefühlen leicht wegtragen (FFA 9).
– Ich bin oft mit der Zukunft oder mit der Vergangenheit beschäftigt (MAAS 13).
– Ich mache oft Dinge, ohne mit der Aufmerksamkeit dabei zu sein (MAAS 14).
4. Benennen, beschreiben, etikettieren mit Worten.
– Ich kann normalerweise gut beschreiben, wie ich mich im Moment fühle (CAMS 5).
– Es fällt mir leicht, Worte zu finden, um meine Gefühle zu beschreiben (KIMS 2).
– Körperempfindungen kann ich schwer beschreiben, weil ich nicht die richtigen Worte finde (KIMS 22).
5. Nicht-Bewerten von Erfahrungen.
– Ich kritisiere mich, wenn ich irrationale oder unangemessene Gefühle habe (KIMS 4).
– Ich denke, einige meiner Gefühle sind schlecht oder unangemessen und ich sollte sie nicht haben (KIMS 32).
– Ich bewerte, ob meine Gedanken gut oder schlecht sind (KIMS 20).
Exkurs:
Messung von Achtsamkeit mittels Fragebögen
Zur Messung von Achtsamkeit wurden verschiedene Selbsteinschätzungs-Fragebögen entwickelt. Diese beziehen sich auf unterschiedliche, einander überlappende Konstrukte von Achtsamkeit.
Freiburger Fragebogen zur Achtsamkeit (FFA): Der Selbsteinschätzungsfragebogen bezieht sich in seinen 30 Fragen auf das Achtsamkeits-Konstrukt der Vipassana-Meditation mit den Charakteristika Aufmerksamkeit, Urteilslosigkeit, Gegenwärtigkeit, Nicht-Identifikation, Prozesshaftigkeit, Neutralität, Akzeptanz, Ganzheitlichkeit, Nicht-Oberflächlichkeit, Absichtslosigkeit, einsichtsvolles Verstehen, Anfängergeist und abnehmende Reaktivität.
Literatur: Buchheld (2000), Walach et al. (2004), Heidenreich et al. (2006). Englischsprachig: FMI: Freiburg Mindfulness Inventory (Buchheld et al., 2001).
Mindfulness Attention Awareness Scale (MAAS): Selbsteinschätzung der Tendenz, im Alltag aufmerksam und sich der gegenwärtigen Erfahrung gewahr zu sein. Die 15 Fragen beziehen sich auf ein Ein-Faktoren-Konstrukt von Achtsamkeit.
Literatur: Brown & Ryan (2003); eine deutsche Adaptation liegt vor (Kobarg,
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