Das Achtsamkeits Buch
und tief zu begegnen. Die sieht das ganz anders und beschwert sich darüber, dass er sich oft zurückzieht. In der Paartherapie fragt der Therapeut Alexander, ob er das in einem kleinen Experiment erforschen will. Dazu bittet er Gabi, sich Alexander im Zeitlupentempo zu nähern, während dieser in Achtsamkeit beobachtet, was in ihm vorgeht. Wie Gabi langsam näher an ihn heranrutscht, bemerkt er, dass sich etwas in seinem Inneren zusammenzieht und dass er einen Drang verspürt, ihrem Blick auszuweichen – ohne dass ihm irgendetwas darüber klar ist, warum er so reagiert. Als sie noch näher kommt, beobachtet Alexander, dass sein Atem beginnt, ganz subtil flacher zu werden und dass seine Muskeln sich etwas verhärten. Er ist zunächst sehr überrascht und dann neugierig, was in ihm passiert.
Der Therapeut bittet Alexander, ein wenig bei den Körperempfindungen zu verweilen. Dabei bemerkt Alexander, dass sein Körper ihn zu schützen scheint. Es ist, als ob er sich gegen ein Eindringen wehren muss. Er kommt sich vor wie in einer Burg. Als er sich auf einen Vorschlag des Therapeuten hin vorstellt, aus dieser Burg herauszuschauen, erscheint das Bild seiner Großmutter. Bei ihr war er im Alter von 1 ½ bis 4 ½ untergebracht, er ist immer noch ihr »Augenstern«. In der Folge stellt sich heraus, dass er ihr gegenüber eine große Abhängigkeit empfunden hatte, weil seine Mutter nicht für ihn da gewesen ist. Auf der anderen Seite erfüllte ihn ihr ständiges »Eindringen« mit Widerwillen, ihr Geruch ekelte ihn.
Hier wird deutlich, wie die Beobachtung körperlicher Empfindungen und automatischer Impulse (etwas zieht sich zusammen, der Blick weicht aus, der Atem wird flacher, die Muskeln verhärten sich) zu Gefühlen führt (Angst vor einem Eindringen, sich schützen, in Sicherheit bringen) und schließlich zu Bildern und Erinnerungen (Großmutter, Mutter). Wenn sich der Prozess voll entfaltet, sind alle Ebenen gleichzeitig aktiviert.
Vorgehensweise in der achtsamkeitszentrierten Psychotherapie
Ko-Regulation von Emotion und Aufmerksamkeit
Die Einflussnahme auf Aufmerksamkeitsprozesse des Klienten ist ein allen Psychotherapieformen gemeinsamer Faktor (Weiss, 2006; Harrer, 2009b). Therapeuten lenken dazu die Aufmerksamkeit entweder auf bestimmte Inhalte, zum Beispiel auf ein Gefühl, oder sie wirken auf die Qualität des Bewusstseins selbst ein, wie in der Hypnotherapie. Psychotherapie wirkt unter anderem dadurch, dass die Aufmerksamkeit im therapeutischen Geschehen auf neue Weise reguliert wird, womit nicht mehr die gewohnheitsmäßigen, sondern neue (Denk-)Wege beschritten werden. Dazu verbinden sich in gewisser Weise die Bewusstseinsprozesse von Klient und Therapeut und beeinflussen sich gegenseitig. Dafür ist unser Gehirn auch grundlegend ausgestattet, denn wichtige Anteile seiner Strukturen dienen der Wahrnehmung des Erlebens anderer Menschen (Siegel, 2006b). Auf diese Weise können wir uns aufeinander einstimmen (Lewis et al., 2000).
In allen Therapieformen wird gelenkt und geführt, wird die Aufmerksamkeit auf bestimmte Themen oder Konflikte gerichtet, sensibilisiert, verfeinertes Wahrnehmen gefördert und auf bestimmte Erfahrungen fokussiert. Man könnte sagen, derBegleiter hat eine bewusstseinsverändernde Aufgabe: seine Einflüsse erweitern die Grenzen dessen, was der Klient normalerweise bedenkt, erfasst, verstehen oder erleben kann. So führt ein Verhaltenstherapeut, der einen Patienten mit einer Brückenphobie behandelt, diesen vielleicht auf eine Brücke und lehrt ihn, sein Bewusstsein so zu lenken, dass sich automatische Reaktionen abschwächen. Ein Analytiker »deutet« ein bestimmtes Erleben seines Patienten in einer für ihn überraschenden Weise, so dass sich Einsichten einstellen, die ihm völlig neu sind. Oder ein Coach hilft seinem Klienten, sich gewisser unbewusster »Überzeugungen« bewusst zu werden, die sein Leben bestimmen und färben.
Das Bewusstsein wird dabei grundsätzlich auf zwei Arten beeinflusst:
• Der Begleiter lenkt es auf bestimmte Inhalte, etwa auf ein Gefühl, eine Erinnerung oder biographische Zusammenhänge.
• Der Begleiter wirkt auf den Bewusstseinszustand ein, indem er beispielsweise in der Hypnotherapie eine Ressourcen aktivierende Trance induziert, indem er den Klienten im psychoanalytischen Vorgehen einlädt »frei zu assoziieren« oder mit dem Klienten Achtsamkeit übt. Diese Maßnahmen dienen dazu, nicht mehr nur auf das Alltagsbewusstsein
Weitere Kostenlose Bücher