Das Achtsamkeits Buch
hochgeschossen … wie ’ne Hitze.«
Therapeutin: »So richtig heiß.«
Klientin: »Heiß wie eine Feuerwelle.«
Therapeutin: »Sie kommt von unten?«
Klientin: »Ja, sie startet hier ungefähr (Sie deutet auf einen Bereich unterhalb des Bauchnabels.) … und schießt dann wie ein Blitz noch oben.«
Therapeutin: »Da im Bauch scheint der Ursprung zu sein?«
Klientin: »Ja, genau hier.« (Sie deutet noch einmal auf den Bauch.)
Therapeutin: »Ist es da wie ein … ein …«
Klientin: »Wie eine Bombe!«
Therapeutin: »Wär’ es okay, noch ein wenig bei dieser Bombe zu bleiben und sie zu studieren?«
Klientin: »Ja, ja, … die hat so was … tödliches.«
Die Therapeutin leitet die Klientin immer wieder auf eine genauere Erforschung des gegenwärtigen Erlebens hin. Sie lädt sie ein, ein wesentliches Element ihrer Erfahrung ganz genau und mit freundlicher Neugier zu untersuchen. Im weiteren, typischen Verlauf der Untersuchung wird die Klientin bei der Innenschau gehalten, um immer tiefer, immer feiner und immer genauer ein inneres Phänomen zu untersuchen. Das kann manchmal nur einige Sekunden dauern, manchmal auch eine ganze Sitzung.
Der Übergang vom Alltagsgespräch zu einer achtsamen Untersuchung ist in der achtsamkeitszentrierten Psychotherapie oft der Anfang eines langen Weges. Dieser führt über verschiedene Ebenen des Erlebens hin zu tief gespeicherten Erfahrungen, die das Leben eines Menschen geformt haben.
Bei Frau L. macht sich – wie oben beschrieben – zunächst ein Gefühl bemerkbar, dann ein körperliches Geschehen. Im weiteren Verlauf, der sich über etwa 35 Minuten hinzieht, werden sowohldie körperlichen als auch die emotionalen Komponenten immer deutlicher. Dabei steigt der überwältigende Impuls in ihr auf, ein Gesicht zu zerkratzen (Frau L. benutzt manchmal sogar das Wort »zerfleischen«), und die Wut verändert sich zu einem »schwarzen Hass«. Schließlich stellen sich Erinnerungen ein an ihre Schwester und verschiedene Szenen, in denen sie sich erniedrigt und verhöhnt fühlt. Erinnerungen, die vollkommen verloren gewesen waren. Der letzte Teil der Sitzung widmet sich einem fundamentalen Gefühl von Demütigung und Hilflosigkeit, aber auch der Bewunderung und Liebe, die sie ihrer Schwester gegenüber empfindet.
Forschen mit Hilfe von Experimenten
Da Achtsamkeit auf das Ziel ausgerichtet ist, die Wirklichkeit immer genauer zu sehen und zu erkennen, lässt sie sich nicht mit therapeutischen Strategien verbinden, die darauf abzielen, Fehlerhaftes zu identifizieren und zu korrigieren. Achtsamkeit ist von Akzeptanz getragen und hat ein nie endendes Interesse an der Wirklichkeit. Wenn etwas im Blickfeld erscheint, das zunächst falsch oder schlimm wirkt, geht es in achtsamer Arbeit nicht darum, es zu verändern, sondern es zu erforschen. Deswegen kann eine achtsame therapeutische Arbeit primär keine spezifischen Veränderungsziele definieren und anstreben. Alle Techniken und Strategien, die darauf ausgerichtet sind, sind unbrauchbar.
An diese Stelle muss ein akzeptierendes Untersuchen treten. Als grundlegende Methodik bietet sich daher der Weg an, in einem »experimentellen Vorgehen« (Kurtz, 1990) Situationen zu schaffen, die ein tieferes and genaueres Erforschen des inneren Geschehens ermöglichen.
In der Sitzung streckt Frau L. während achtsamer Selbstbeobachtung spontan ihre Arme nach vorne und krümmt die Finger. Die Therapeutin hält daraufhin vorsichtig ein Kissen hin und lädt sie ein, zu spüren, was die Hände machen wollen. Nach einer Phasedes Experimentierens mit verschiedenen Winkeln und Höhen bekommt Frau L. plötzlich ein ganz klares Gefühl dafür, dass sich der Impuls in ihren Händen auf ein Gesicht hin richtet. Augenblicke später erscheint zum ersten Mal das Bild ihrer Schwester. Ein vorsichtiges Explorieren des Kratzimpulses am Kissen (das nun das Gesicht der Schwester repräsentiert) enthüllt die Heftigkeit ihres Hasses und den Wunsch zu »zerfleischen«.
Es geht der Therapeutin also weder darum, den Hass zu entschärfen, noch darum, ihn auszuagieren. Das Ziel ist herauszufinden, was ganz genau die Hände tun wollen und von welchen Kräften dieser Impuls getragen ist.
Die therapeutische Strategie des experimentellen Vorgehens – und einer experimentellen therapeutischen Haltung – macht eine spezielle Methodik notwendig. Diese verhindert, immer wieder in ein lösungsorientiertes Verhalten zu verfallen, das aus anderen,
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