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Das Achtsamkeits Buch

Das Achtsamkeits Buch

Titel: Das Achtsamkeits Buch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Halko Weiss , Thomas Dietz
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entscheidendes Element einen solchen Weg sicher, denn er behält eine reife, ruhige Sicht auf das Ganze. Er verhindert die Identifikation, er bemerkt die Kräfte, die sich unter Umständen hinter dem Kind verstecken wollen und er verändert durch seine Präsenz die ursprüngliche Erfahrung. Man kann die Achtsamkeit und den in ihr enthaltenen Beobachter als fundamentale Ressourcen betrachten, als Quelle außerordentlicher Kraft, die dem Menschen hilft, nicht in seinen Zuständen zu versinken, sondern sie klar zu sehen und wohlwollend zu verstehen.
     
    Selbstregulation und Selbstführung
    Schließlich entsteht aus der beobachtenden Position der Achtsamkeit die verstärkte Fähigkeit, sich selbst zu regulieren und zu führen ( vgl. Kapitel »Selbstführung aus der Beobachterperspektive«, S. 129) . Es wird noch einmal deutlich, dass ein immer früher und leichter gelingendes Bemerken der eigenen Zustände oder Teile es erst möglich macht, bewusst einzugreifen. Wenn es Michael Z. beispielsweise früher auffällt, dass eine »Wand« hochgeht, gibt es ihm auch die Gelegenheit, mit seinem Freund darüber zu sprechen. Dies ist sehr viel schwieriger oder gar unmöglich, wenn er seinen Zustand erst Tage später genauer bemerkt oder überhaupt nicht wirklich weiß, was mit ihm geschieht. Wenn Achtsamkeit regelmäßig geübt wird, entsteht durch Veränderungen im Gehirn (Davidson et al., 2003a; Siegel, 2007) eine neue Kapazität: die Fähigkeit, sich selbst und seine Zustände immer schneller und genauer zu registrieren. Dieses »Registrieren« nützt meist nichts mehr, wenn man schon von einer heftigen emotionalen Reaktion erfasst ist. Dann kann man seine Wut oder seine Verzweiflung nicht mehr stoppen, selbst wenn man bemerkt, dass man voneinem speziellen Zustand mitgerissen wird. Dan Goleman (1996) beschreibt Menschen in einem solchen Zustand als »entführt« (highjacked). Doch je früher und genauer die eigenen Zustandsschwankungen vom Beobachter wahrgenommen werden, desto einfacher ist es, innezuhalten, Alternativen zu suchen oder eine größere Pause einzulegen, bevor man etwas klüger weitermacht. Kalu Rinpoche, ein bedeutender tibetischer Lama, wies auf diesen Weg mit folgenden Worten hin: »Es ist äußerste Wachsamkeit und Aufmerksamkeit, die es uns ermöglicht, unser Verhalten zu ändern.«
     
    Therapeutische Transformation in Achtsamkeit
     
    Vorsichtig dosierte Regression in Achtsamkeit erlaubt neben der Entwicklung eines Beobachters noch eine andere Art der Transformation: das nachträgliche Lernen in Bezug auf längst vergangene »Realitäten«. Dieses ist auf andere Art nicht so einfach möglich. Es gibt eine lange Tradition innerhalb der Psychoanalyse, die mit Sandor Ferenczi (1919) und Franz Alexander begann (1946) und die Veränderungen des Klienten so versteht, dass neue oder »korrigierende« Erfahrungen in der Beziehung zum Therapeuten gemacht werden, die den ursprünglichen negativen, aber prägenden Erfahrungen widersprechen. Wenn zum Beispiel bei der Mutter keine Geborgenheit möglich war, kann diese Erfahrung mit dem Therapeuten »nachgeholt« werden.
    Auch im Rahmen der Bindungsforschung (zwischen Kind und Mutter) wird diese Möglichkeit betont (Karen, 1994; Cozolino, 2006). Grundsätzlich kommt die Bedeutung der lebendigen Erfahrung für Veränderungsprozesse immer stärker in den Blick der Psychotherapie (Greenberg et al., 1998).
    Wie die Beispiele zeigten, erlaubt die Aktivierung alter, meist kindlicher Zustände unter dem Schutz achtsamer Beobachtung dem Klienten-Therapeuten-Team, genauestens zu erforschen, was der Klient als Kind erlebt und gelernt hat. Der»Kind-Zustand« ist in seiner ganzen Komplexität erlebbar, aber zugleich kann der Beobachter ihn sorgfältig studieren, ohne von seinen Gefühlen verschlungen zu werden. So entsteht eine klare Vorstellung von langandauernden oder traumatischen Erlebnissen, die das Weltbild des Kindes geprägt haben. Grundlegende Einstellungen und Überzeugungen werden sichtbar, die sich noch heute auf Gefühle und das Verhalten eines Menschen steuernd auswirken.
    Wenn im Rahmen achtsamer Zustände die frühen Lernprozesse in den Blick kommen, wird meistens auch deutlich, dass das damalige Kind keine Hilfe von Erwachsenen hatte, um seine Erfahrungen so zu verarbeiten, dass es ohne quälenden Verzicht auf grundlegende Bedürfnisse weiter leben kann. So lernen Kinder, auf unbedingt notwendige Voraussetzungen für ein erfülltes Leben zu verzichten und sich

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