Das Aion - Kinder der Sonne
erklärte das Mädchen. »Um es zu erreichen, müssen wir noch zwei weitere Dünenketten überqueren, aber das ist mit den Sandschlitten kein Problem. Allerdings gibt es in dem Tal überall Sodra-Krater. Manche von denen sind breiter als das Luftkissenboot.«
»Vergiss es«, sagte Jiril.
»Wir fahren mit dem Rigger 30 Kilometer weiter nach Norden bis zur Mündung des Wadi Gohm«, entschied Dr. Gayot, nachdem er die Landkarte eine Weile studiert hatte. »Dort folgen wir dem Flussbett Richtung Südwesten durch das Hochland, hinein in die Sandwüste.«
»Dazu müssen wir allerdings durch die Skelettschlucht«, gab Ben zu bedenken und deutete auf einen von Steilwänden flankierten Engpass. »Und danach durch teils 200 Meter tiefe Dünentäler, die sich Dutzende von Kilometern weit erstrecken und uns zwingen könnten, lange Umwege in Kauf zu nehmen.«
Der Doktor strich sich mit der Hand über den kahlen Schädel. »Was schlägst du also vor?«
»Zumindest einen der Sandschlitten mitzunehmen, um die Dünen überqueren zu können«, erklärte Ben. »Oder es einem von uns zu ermöglichen, zurück ins Dorf zu fahren, falls wir mit dem Rigger in Schwierigkeiten geraten sollten.«
Wenig später waren Jiril und Delius dabei, Bens Ratschlag in die Tat umzusetzen. Mira hatte mit dem Alpha zuvor mehrere Garagen absuchen müssen, bis sie einen vollgetankten und funktionstüchtigen Sandschlitten gefunden hatten. Das Gefährt sah aus wie ein Schneemobil, nur dass unter seinem Bug statt Skikufen stabile Ballonreifen montiert waren – wodurch er in Wirklichkeit mehr mit Bens Dünenbuggy gemein hatte als mit einem echten Schlitten. Unter seinem Rumpf befand sich eine stabile Antriebsraupe aus Gummi, mit der sich das Gefährt auf mehr als 150 Kilometer die Stunde beschleunigen ließ. Um den über zwei Meter langen Sandschlitten transportieren zu können, mussten Ben und Jiril die hintere Sitzbank des Riggers ausbauen.
Während Mira den anderen beim Sichern des Schlittens zusah, hatte sie unablässig das Gefühl, heimlich beobachtet zu werden. Doch obwohl sie sich suchend umsah, konnte sie hinter den Mauern und Fenstern nirgendwo ein verräterisches Augenpaar oder eine verdächtige Bewegung entdecken. Das unangenehme Gefühl hielt weiter an, bis sie mit dem Luftkissenboot aus dem Dorf fuhren.
Als Mira ein letztes Mal zurückblickte, sah sie schließlich Mekaj und Tessa am Ende der nördlichen Speichenstraße stehen. Die beiden Hunde schauten ihnen reglos nach, bis der Rigger eine leichte Anhöhe überquert hatte und das Dorf hinter seiner Kuppe verschwand.
Das Wadi Gohm war nicht annähernd so breit wie das mächtige Wadi Talfa. Dafür hatte das Wasser, das vor langer Zeit hier geflossen sein musste, ein tiefes Tal in den Sandstein gewaschen. In engen Mäandern schlängelte es sich durch die Felswüste, ohne den Bergen wirklich näher zu kommen. Lediglich die Uferböschung wurde immer steiler, sodass Mira gespannt war, was sie hinter der nächsten Schleife erwarten mochte. Schließlich beschrieb das Wadi eine Biegung nach Süden und führte dann direkt auf einen der Tafelberge zu.
Mira hielt den Atem an. Zwei Kilometer vor ihnen öffnete sich eine senkrechte, finstere Kluft im Fels, die aussah, als wäre der Berg vor Urzeiten in der Mitte gespalten worden.
»Da müssen wir durch?«, fragte sie beklommen.
»Keine Sorge«, sagte Ben. »Solange es hell ist, haben wir nichts zu befürchten.«
Mira zog skeptisch das Kinn an die Brust. »Es sieht da drin aber nicht besonders hell aus …« Mit gemischten Gefühlen blickte sie in die Höhe. Die fast 200 Meter hohen Felswände sahen aus wie ein riesiges Maul, das sich langsam über ihnen schloss und dabei den Himmel fraß.
Jiril drosselte die Rotoren, um den Rigger sicher durch den engen Felskorridor manövrieren zu können. Dennoch hallte das Heulen der Turbinen so laut von den Felswänden wider, dass Mira sich die Ohren zuhielt. Der Grund der Schlucht lag in düsterem Zwielicht. Gleichzeitig wurde es immer kühler, sodass Mira bald fröstelnd in ihren Mantel schlüpfte. Nach einigen Hundert Metern war es schließlich so finster, dass Jiril die Scheinwerfer anschalten musste, um den Rigger nicht gegen im Schatten verborgene Felsblöcke zu steuern. Doch auch dort, wo ihr Licht nicht hinreichte, drang Miras Blick problemlos bis zum Boden.
Alle Betas besaßen die Gabe, in der Dunkelheit zu sehen. Vielleicht nicht so gut wie die nachtaktiven Wüstenkatzen, doch um ein Vielfaches
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