Das Aion - Kinder der Sonne
einer symbolischen Opfergabe.«
»Für unsereins schon«, gab Ben zu bedenken. »Aber für diese Entität ist eine Arcasie womöglich etwas unvergleichbar Wertvolles.«
»Könnten wir ihr stattdessen nicht einfach Delius opfern?«, schlug Jiril vor. »Sozusagen als Vorschuss?«
»Sehr originell, Sansar Jiril«, bemerkte der Roboter.
»Dieses Wassertentakelgötterding scheint Maschinen immerhin nicht besonders zu mögen«, argumentierte der Alpha. »Ich meine, wir könnten es ja zumindest mal versuchen. Wenn’s nicht klappt, wär’s auch kein großer Verlust.«
»Dürfte ich um die Freischaltung meines primären Arbeitsspeichers bitten?«, wandte sich Delius an Dr. Gayot. »Mit allen Unterverzeichnissen über das destruktive Subjekt Jiril.«
»Ihr versteht nicht!«, unterbrach Mira die beiden. »Falls ich die Arcasie nicht rechtzeitig finde und die Wucherung nicht aufhalte, sterben nicht nur die Menschen hier im Wasser – alle Menschen innerhalb der Barriere werden sterben!« Sie sah auf, die Stimme nur mehr ein gebrochenes Flüstern: »Alle!«
Für einen Moment herrschte vor dem Speicherbecken betroffenes Schweigen.
»Das ist doch Irrsinn«, stellte Dr. Gayot fest. »Hat dieses Aion dir gesagt, warum?«
»Weil wir unsere Tränen nicht trinken können«, antwortete Mira.
»Wasser«, erkannte Ben. »Sollte dieses Wesen sterben, wird es versiegen – und wir werden verdursten.«
Dr. Gayot sank ein Stück in sich zusammen. »Arcasien«, stöhnte er. »Wie sollen mystische Baumsamen eine Terramotus-Anlage stoppen, die sich womöglich schon kilometerweit unter der Wüste ausgebreitet hat?« Er schwebte grübelnd vor dem Bassin. Dabei war ihm anzusehen, wie er innerlich mit sich kämpfte. »Delius«, sagte er schließlich, »verzeichnet das Archiv vielleicht Weltenbäume, die den Aspekt ›Wasser‹ berücksichtigen?«
»In Gemeinschaft mit dem Begriff ›Lebensbaum‹ listet es fünf Einträge auf«, verkündete der Roboter.
»Ordnen nach Relevanz«, bestimmte der Doktor.
»Der laut Verzeichnis größte und mächtigste Weltenbaum bildet die Axis Mundi mit ihren drei ineinander verflochtenen Stämmen Laerad, Mimameid und Yggdrasil«, begann Delius. »Unter den Wurzeln der Weltenachse entspringen drei heilige Quellen.«
»Yggdrasil, pah!«, fauchte die Stimme an Miras Ohr so grimmig, dass das Mädchen vor Schreck zusammenzuckte. »Ungehobeltes, verschlagenes Eschenpack, da oben! Totenschänder, Leichenfresser, pah!« Ihre Besitzerin zischte aufgebracht, und Mira befürchtete bereits, sie könnte ihr vor lauter Empörung wieder ins Ohr beißen. »Ich gebe dir einen guten Rat«, fuhr die Stimme jedoch ein wenig beherrschter fort. »Mach einen großen Bogen um Yggdrasil und seinesgleichen! Und trinke nie, nie, nie von seinem Wasser!«
Die Stimme murmelte noch etwas Unverständliches und verstummte schließlich, indes Mira bemüht war, ihren Herzschlag zu beruhigen. Zum Glück schien niemand sonst etwas davon mitgekriegt zu haben.
»Das Volk der Maya verehrte die Weltenbäume Yaxche und Wacah Chan«, erzählte Delius. »Beide stehen im Zentrum der Schöpfung und wachen über das heilige Wasser der Unterwelt. Bei den Babyloniern wachte der Weltenbaum Xikum als Inkarnation der Göttin Ishtar über das Wasser des Lebens. Im Volksglauben der Kelten war der Lebensbaum Crann Bethadh für die Heilung von Quellen und heiligen Brunnen zuständig. Der letzte Eintrag verweist auf den chinesischen Lebensbaum Táoshù mit den Früchten der Unsterblichkeit. Ende der Einträge«, schloss Delius seinen Vortrag.
Dr. Gayot atmete tief durch und vollführte in der Luft eine halbe Drehung. Mit ernstem Gesicht und hinter dem Rücken verschränkten Armen schwebte er in einem weiten Kreis durch den Hangar.
»Mythen«, grummelte er, als er wieder zu den anderen zurückgefunden hatte. »Mystik und Wunderglaube. Die Verehrung von Weltenbäumen, die den Himmel stützten, rührt noch aus einer Zeit, als die Menschen die Erde für eine Scheibe hielten.«
»Sie glauben nicht an ihre Existenz«, stellt Ben fest.
»Wir sind Wissenschaftler, keine Priester«, gab der Doktor mürrisch zurück. »Selbst wenn es diese Bäume tatsächlich geben sollte und einer von ihnen die Sonnenstürme überlebt hätte, wäre er für uns unerreichbar. Alle von Delius erwähnten Exemplare befinden sich außerhalb des Savornin-Bannkreises.«
»Einer hat sie überlebt«, versicherte Mira, worauf sich alle Blicke auf sie richteten. »In der entarteten
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