Das Aktmodell
Zimmer mit einem Nachttopf aus Porzellan, der bereits von der Kaiserin Eugénie benutzt wurde.
Während ich so umherspaziere, höre ich aus einem privaten Ankleideraum Frauenstimmen, und eine davon kommt mir besonders bekannt vor. Ohne dass ich es bemerkt habe, muss Madame Chapet hierher entschwunden sein und mit ihrer gekünstelten, hohen Stimme erzählt sie: “… es ist ein sündiges Ritual, bei dem Männer und Frauen sich in einem exklusiven Privathaus treffen, und der rote Wein entfaltet seine magischen Kräfte bei jedem, der aus dem silbernen Kelch trinkt.”
“Wie kann das sein, Madame?”
“Der Wein ist mit betäubenden und bewusstseinserweiternden Drogen versetzt und soll sexuelle Magie begünstigen”, höre ich sie verschwörerisch flüstern. “Man sagt, dass kein Mädchen in dieser Nacht sich davor drücken kann, den Schwanz des Teufels zu lecken.”
“Erzählt uns mehr, Madame Chapet.”
“
Bien
, also gut. Die Gäste vergnügen sich an einem verschwiegenen Ort mit
le vice anglais
, der sexuellen Flagellation. Oh, mir wird schwindelig, wenn ich nur daran denke.”
“Werdet Ihr zu dieser schwarzen Messe gehen, Madame Chapet?”
“
Bien sûr
, aber natürlich. Der Duke of Malmont hat mich persönlich dazu eingeladen.”
“Oooohhh, Madame …”
“Es gehört sich für eine Frau in meiner Position, diese Rituale zu besuchen, und da der Duke ein Mitglied des Ordens der Goldenen Dämmerung ist, na ja, wie könnte ich dieses Angebot ausschlagen?”
Ich lehne mich an die Tür, und mein Körper zittert leicht. Schwarze Messe? Wieso beunruhigen mich diese Neuigkeiten über ein sündiges Ritual und bereiten mir Kopfschmerzen? Soll das diese Nacht der ausschweifenden Vergnügungen sein, von der mir der Duke berichtet hat?
Den ganzen Körper an diese schwere Eichentür pressend, versuche ich der Unterhaltung zu lauschen. Aber leider höre ich nichts mehr. Alles ist ganz still. Und dann … höre ich eine Frau seufzen? Das Rascheln von Seide?
Was geht da drinnen vor sich?
Kichern.
“Aber natürlich, Madame Chapet, Ihr habt wunderschöne Schenkel.”
Noch mehr Kichern.
“Madame, bitte! Schließt Eure Beine noch nicht.”
“Seid still, Mademoiselle. Eure Zunge solltet Ihr besser für andere Dinge einsetzen als zum Reden.”
Flüstern.
Ich lehne mich noch ein wenig näher an die Tür, und mein Kopf zerplatzt fast. Ich muss mehr über diese schwarze Messe erfahren. Ich lehne mich nach vorn – etwas zu weit, wie ich leider zu spät bemerke, während ich das Gleichgewicht verliere. Ich greife Halt suchend nach dem Türgriff, als die Tür sich plötzlich öffnet … und ich mitten in den Raum hineinstolpere und auf dem Boden lande.
“Ich … ich habe, äh, nach dem stillen Örtchen gesucht”, stottere ich und versuche zu lächeln.
“Wollt Ihr uns nicht Gesellschaft leisten, Mademoiselle?”, fragt Madame Chapet und lässt ihre Finger durch die Haare der Verkäuferin gleiten, die ihren Kopf unter
La Madames
Petticoat gesteckt hat. Ihre Zunge sucht unzweifelhaft in dem dichten Haargewirr nach dem Eingang der heißen, feuchten, hungrigen Fotze. Die Puffmutter lacht so hart, dass kleine Federn ihres Kostüms wie Staubflocken durch die Luft segeln. Sie landen auf den Möbeln, dem Teppich, der Verkäuferin.
Und auf mir. Ich habe das dumpfe Gefühl, dass der wollüstigste Teil meines Abenteuers eben gerade erst beginnt.
Paul stand vor der Tür des Hauses in der Rue des Moulins und lauschte den lustvollen Schreien eines Mädchens. Hoffentlich nicht Autumn, dachte er. Er lehnte sich noch einmal gegen die Glocke und schellte laut, verfluchte die Götter. Sein schwarzer Hut fiel ihm ins Gesicht und sein langes Cape wehte im kalten Wind.
Wieso öffnete niemand?
Merde alors
, seine Füße waren ganz nass. Das kam allerdings nicht von den Pfützen, die die Boulevards überzogen. Ein schlimmer Sturm hatte den Schaufelraddampfer überflutet, mit dem Paul von Dover aus den Englischen Kanal überquerte, um möglichst schnell wieder nach Paris zurückzukommen.
Niemand mit einigermaßen klarem Verstand hätte sich diesem Unwetter auf See freiwillig ausgesetzt. In den Zeitungen stand sogar, dass das der schlimmste Sturm des Jahrhunderts gewesen sei. Stürme, Orkane und Gott weiß was für wilde Gesellen aus Neptuns Gefolgschaft hatten die Meere aufgewühlt.
War das alles bloß ein Traum? Nein, es war ziemlich real, angefangen bei den schrecklichen Bodyguards des Duke. Der eine hatte Paul während der
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