Das Aktmodell
auf meine Oberlippe. Wo ist die Rue Caulaincourt? Ich strenge mich an, ob ich die Windmühlen hören kann, in denen das Mehl gemahlen wird, aber durch die Luft schwebt nur die melancholische Melodie eines Leierkastenmannes. Wahrscheinlich gibt es schon lange keine Windmühlen mehr in einer Stadt, die sich auf das zwanzigste Jahrhundert vorbereitet. Das einzig mir bekannte Gebäude dieser Gegend – der strahlend weiße Turm der Basilika von Sacré Cœur – ist noch nicht ganz fertiggestellt.
Ich schürze meine Röcke und besteige den steilen Hügel. Die Musik des Leierkastens verschwindet im Hintergrund, dafür höre ich das Klappern von Pferdehufen und ab und zu das Knallen einer Peitsche. Klopp, klopp. Ich hebe meine Füße zu diesem Rhythmus und versuche durchzuhalten. Klopp, klopp.
Ich biege in die Rue Lamarck ein. Ganz egal wie erschöpft ich auch bin, ich muss unbedingt meinen Weg zurück zu Paul Borquet finden. Wieso bin ich eigentlich so versessen darauf, bei ihm zu bleiben? Weil er weiß, wie er mich heißmachen kann?
Ich werde es nie vergessen: mein Rücken gegen die Wand gelehnt, seine Hände, die meinen Po ein wenig von der abblätternden Farbe der Wand wegzogen. Er ganz eng an mich gepresst, sodass sich unsere Oberschenkel berührten. Ich fasste nach unten, nahm sein pulsierendes, hartes Rohr und führte es in mich ein. Er bewegte die Hüften, stieß so tief in mich hinein, dass ich kaum noch atmen konnte. Seine Hände packten meinen Arsch, seine Brust presste sich an meine Brüste, und er bewegte sich in mir, schnell und wild. Als ich zum Höhepunkt kam, mit zitternden Knien und völlig erschöpft, zog er ihn raus und hielt das kleine Tontöpfchen unter mich, um mehr von meinem Saft aufzufangen.
Das Bild von mir ist immer noch nicht fertig. Sie wissen, was das bedeutet. Oh mein Gott!
Den Schweiß, der sich auf meinem Hals bildet, ignoriere ich und steige weiter in der brütenden Hitze den Hügel hinauf. Ein unheimliches Gefühl überkommt mich. Irgendetwas riecht hier faul. Jemand gießt Schmutzwasser aus dem Fenster einer alten Fabrik auf die derben Pflastersteine, und ich halte mir die Nase mit dem Ärmel meines Kleides zu. Die Gegend hier hat sich verändert. Die Häuser sind verkommener und scheinen sich aneinanderzuschmiegen, um sich gegenseitig vor dem Verfall zu schützen.
Ein Schauer läuft mir den Rücken herunter, als ich einige Männer vor einem der Häuser stehen sehe. Sie machen derbe Bemerkungen und starren in das Fenster im ersten Stock. Auf einem zerbrochenen Dachziegel, der an einem alten Gebäude angebracht ist, steht
Rue Caulaincourt.
Mein Herz beginnt zu rasen, und meine Stimmung steigt. Anscheinend habe ich meinen Weg zurück zu der langen und kurvigen Straße gefunden. Jetzt muss ich nur noch die Versammlung vor dem Fenster da vorn ignorieren und die Straße hinuntergehen.
Müsste ich. Tue ich aber nicht.
Neugierde ist eine Eigenschaft, die mich schon öfter auf Abwege geführt hat, was in der Geschäftswelt durchaus nicht schlecht ist, wenn man die Karriereleiter hinaufklettern will. Zudem beschränkt sich die Gefährlichkeit beim Ausspionieren der Konkurrenz darauf, sich in den Waschräumen zu verstecken und zu lauschen. Seine Nase allerdings im Montmartre des Jahres 1889 in Dinge zu stecken, die einen nichts angehen, kann äußerst ungesund, wenn nicht sogar tödlich sein.
Wenn ich doch nur nicht so unglaublich neugierig wäre!
Immer offen für ein kleines Abenteuer, laufe ich direkt auf die Männer zu. Mein Herz schlägt schneller, als ich in dem Fenster eine Frau sehe, die vor einem schlaffen Blümchenvorhang steht. In der Hand hält sie eine flackernde Öllampe, und mit obszönen Gesten lädt sie die Männer zu sich ins Zimmer ein.
Sie trägt ein bedrucktes Kleid in der Farbe von gefleckten Bananen, und ihr langes blondes Haar hängt in dichten Locken bis zur Taille. Jung ist sie nicht mehr, aber ich kann immer noch die einstige Schönheit erkennen, die verzweifelt versucht, in ihrem ovalen Gesicht zu überleben. Rosarote Wangen. Knallrote Lippen. Blaue Augen, die weder tot noch lebendig sind.
Unsere Blicke treffen sich, und Verständnis blitzt in der blauen Tiefe ihrer Augen auf. Ein Augenblick der Traurigkeit überkommt mich. Mein Mund beginnt zu zittern, und fragend schaue ich sie an. Sie bemerkt meinen Blick, und eine winzige Träne rollt über ihre Wangen. Sie scheint mich warnen zu wollen. Von einer Sekunde auf die andere verändert sich ihr
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