Das Aktmodell
mit einem Kunden nach oben gehe. Das Gerücht um das schöne, jungfräuliche Modell verbreitete sich schnell in den Cafés von Paris, und alle Maler kamen.
Aber wo ist Paul?
Meine Finger zittern, mein Herz schlägt wild und Gott, schwitze ich. Salzige Schweißperlen rinnen zwischen meinen Brüsten herunter, über meine Rippen. Auch zwischen den Beinen bin ich feucht, vor Nervosität und Erregung gleichzeitig. Es ist beunruhigend und lustvoll zugleich, daran zu denken, dass ich in wenigen Augenblicken vor diesen Männern nackt dastehen werde. Ich wage es nicht, mir den Schweiß abzuwischen, aus Angst, dass das Laken herunterrutschen könnte, meine weiße Flagge der Kapitulation. Darunter trage ich nichts außer meinem Mut, und der ist auch gerade auf dem Weg, sich von mir zu verabschieden.
Ich kuschle mich noch fester in das Laken und zittere. Das Studio ist kalt, aber das ist nicht der Grund, wieso mich dieses eisige Gefühl überkommt. Paul ist nicht hier. Wieso?
Ich brauche ihn, damit er mir den Mut gibt, mich hier nackt zu präsentieren. Oder gibt es noch einen anderen Grund? Einen Grund, der mich verfolgt, seitdem ich das erste Mal die Seidigkeit seines Haars, die Stärke seiner Schultern, seine breite Brust erforscht habe und dann die unentrinnbare Freude spürte, seine Härte in mir zu fühlen? Sooft ich auch bei Madame Chapet bettelte, sie erlaubte mir keine Zeit allein mit Paul, keine Zeit, um ihm zu erklären, dass er in höchster Gefahr schwebte.
Laut dem alten Maler starb Paul im Jahre 1889. Wann genau? Ich bin entschlossen, diesen tragischen Tod zu verhindern.
Oder ist er bereits passiert? Ist Paul Borquet schon tot? Für immer aus meinem Herzen gegangen?
Ich weigere mich, das zu glauben.
Hier auf dieser Plattform vor den Künstlern fühle ich mich nicht besonders mutig. Anstatt hier nackt herumzustehen, würde ich am liebsten im Erdboden versinken und mich in mein Tuch hüllen, um mich den Blicken dieser großen Maler nicht mehr aussetzen zu müssen. Wie halte ich das aus, dass sie jedes Muttermal, die Grübchen auf meiner Hüfte und meine harten braunen Nippel aufs Papier bringen? Und der rotbraune Haarbusch zwischen meinen Beinen … Gott steh mir bei!
Le minon
, wie Paul es nennt. Meine Muschi. Ich kann das nicht.
“Lasst endlich das Laken fallen, Mademoiselle”, höre ich die Stimme von Monsieur Gromain wieder. “Jetzt.” Dieses Mal kommt er heftig atmend aus seiner schattigen Ecke hervor. Er trägt einen zur Krawatte gebundenen Schal und schlecht sitzende Kleidung. Monsieur Gromain scheint zu erfühlen, was mir durch den Kopf geht. Seine buschigen Brauen ziehen sich über seinen zornigen Augen zusammen, und sein Schnurrbart zittert. “Jetzt reicht es mit Eurem närrischen Benehmen, Mademoiselle.”
Er hebt seine Hand, und ich ahne, was als Nächstes kommt. Er hat vor, mir das Tuch vom Leib zu reißen. Schnell, dramatisch. So als ob er eine Katze häutet. Oder in seinem Fall eine Muschi.
So haben wir nicht gewettet! Schnell trete ich einen Schritt zurück. Plötzlicher Mut überkommt mich. Paul ist zwar nicht hier, aber er ist in meinem Herzen und gibt mir Kraft. Ich werde den Künstlern geben, was sie haben wollen, werden ihnen zeigen, wie eine echte
Frau
ihre Leidenschaft, zu malen, anregt. Wenn ich diese Pantomime weiter durchziehe, dann werde ich ohne Zweifel einen Skandal provozieren – dafür wird mein perfekter Körper schon sorgen – aber ich werde nicht wie ein gerupftes Hühnchen hier nackt auf dem Serviertablett herumstehen. Wenn ich diesen Unsinn schon mitmache, dann auf meine Weise.
Angestachelt von dem skeptischen Blick der alten Meister und meiner eigenen Entschlossenheit, meine Weiblichkeit wiederzuentdecken, drehe ich den Malern den Rücken zu. Dann fasse ich das Laken an den Enden und breite meine Arme weit aus, wie ein Engel, der seine Flügel testet. Mein langes kupferfarbenes Haar fällt lockig über meine Schultern. Mein Gesicht ist mit hellem Puder bestäubt, meine Lippen mit Traubensaft gefärbt, und meine Wimpern sind nach oben gebogen, um “wie Sterne” auszusehen, wie Madame Chapet meinte. Aber es ist der Schwung meiner goldbraunen Schultern und der Bogen meines wohlgeformten Rückens, der die Künstler sich über die Staffeleien beugen lässt. Sie spüren, dass der Moment jetzt gekommen ist.
Ich denke an Paul, an seine schimmernden Augen, seine elektrisierenden Zärtlichkeiten, seinen sich reckenden Ständer, und ich entscheide, dass Monsieur Gromain
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